Freitag, 30. November 2012

Talk 29

Ein andermal. Der Abend war still und bewölkt. Es nieselte gelegentlich und war infolgedessen etwas kühl. Die Fenster der Halle waren geschlossen worden. Der Maharshi saß wie üblich auf seinem Sofa. Ihm gegenüber saßen die Devotees. Es waren Besucher aus Cuddalore gekommen. Unter ihnen war ein Richter, der von zwei älteren Damen begleitet wurde. Der Richter begann ein Gespräch über die Unbeständigkeit aller weltlichen Dinge mit der Frage:
»Hat die Unterscheidung zwischen dem Wirklichen und dem Unwirklichen (Sat asat vicharana) in sich selbst die Kraft, uns zur Verwirklichung des einen Unvergänglichen zu führen?«
M.: »Es ist von allen wahren Suchern dargelegt und erfahren worden, dass allein das beständige Verweilen im höchsten Geist (Brahma nishta) uns Es erkennen und verwirklichen lässt. Da wir Es sind und Es in uns ist, kann uns jegliches Üben von Unterscheidung nur einen Schritt vorwärts bringen, indem sie uns zur Entsagung bringt, indem sie uns antreibt, das Sichtbare (abhasa) als vergänglich zu verwerfen und allein an der ewigen Wahrheit und Gegenwart festzuhalten.«
Das Gespräch wandte sich der Frage zu, ob göttliche Gnade (Iswara prasadam) zum Erreichen des universellen Reiches (samrajya) nötig sei oder ob nicht das ehrliche und unermüdliche Bemühen des jiva, es zu erlangen, ihn von selbst zu Dem führen könne, von Dem aus es keine Rückkehr zu Leben und Tod mehr gibt.
Ein unbeschreibliches Lächeln erstrahlte auf dem heiligen Antlitz des Maharshi, das alle erreichte, die um ihn herum saßen, als er mit fester Stimme erwiderte: »Göttliche Gnade ist für die Verwirklichung unabdingbar. Sie führt zur Gottverwirklichung. Aber diese Gnade wird nur dem zuteil, der ein wahrer Verehrer oder Yogi ist und hart und beständig auf dem Weg zur Freiheit vorangegangen ist.«
F.: »In den Yoga-Büchern werden sechs Zentren erwähnt, aber der jiva soll im Herzen wohnen. Stimmt das?«
M.: »Ja. Es heißt, dass der jiva im Tiefschlaf im Herzen und im Wachzustand im Gehirn weilt. Das Herz darf aber nicht mit dem Blut pumpenden Muskel mit vier Kammern verwechselt werden. Es gibt zwar Stellen in den Schriften, die diese Ansicht vertreten. Andere wiederum halten das Herz für eine Gruppe von Ganglien oder Nervenzentren in diesem Bereich. Für uns spielt es keine Rolle, welche Sichtweise die richtige ist. Wir sind mit nichts Geringerem als mit unserem Selbst befasst und das haben wir ganz sicher in uns. Darüber kann es keinen Zweifel und keine Diskussion geben.
In den Veden und den anderen Schriften wird mit ›Herz‹ die Stelle bezeichnet, von wo der Ich-Gedanke entspringt. Entspringt er etwa nur aus einem Fleischklumpen? Es entspringt etwas rechts von der Mitte unseres Körpers. Aber das wahre Ich hat keinen Ort. Alles ist das Selbst. Es gibt nichts anderes außer Es. Deshalb muss man sagen, dass das Herz unser ganzer Körper und das ganze Universum ist, das wir als Ich wahrnehmen. Um aber dem Übenden (abhyasi) zu helfen, müssen wir einen bestimmten Teil des Universums oder des Körpers bestimmen. Deshalb wird auf das Herz als Sitz des Selbst verwiesen. In Wirklichkeit sind wir jedoch überall, wir sind alles, was ist, und etwas anderes gibt es nicht.«
F.: »Es heißt, dass göttliche Gnade nötig sei, um samadhi, den unabgelenkten Zustand des Geistes zu erreichen. Stimmt das?«
M.: »Wir sind Gott (Iswara). Iswara Drishti, d.h. uns als Gott zu erkennen, ist göttliche Gnade. Deshalb brauchen wir göttliche Gnade, um Gottes Gnade zu erlangen.«
Der Maharshi lächelte und alle Devotees lachten.
F.: »Es gibt auch eine Göttliche Gunst (Iswara anugraham), die etwas anderes als göttliche Gnade (Iswara prasadam) ist. Stimmt das?«
M.: »Der Gedanke an Gott ist göttliche Gunst. Er ist von Natur aus Gnade (prasad oder arul). Es ist Gottes Gnade, dass du an Ihn denkst.«
F.: »Ist nicht die Gnade des Meisters das Ergebnis von Gottes Gnade?«
M.: »Warum unterscheidest du zwischen den beiden? Der Meister ist dasselbe wie Gott und nicht von Ihm verschieden.«
F.: »Wenn man sich anstrengt, um ein rechtes Leben zu führen und das Denken auf das Selbst zu konzentrieren, dann folgt dem oft ein Stolpern und Sturz. Was soll man dagegen tun?«
M.: »Am Ende wird alles gut. Deine Entschlossenheit gibt dir einen beständigen Impuls, der dich nach jedem Sturz und Zusammenbruch wieder auf die Beine bringt. Allmählich überwindest du alle Hindernisse und dein Antrieb wird stärker. Alles wird am Ende gut. Du musst nur immer entschlossen sein.«

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