Herr
Evans-Wentz: »Ist Einsamkeit für einen Jnani notwendig?«
M.:
»Einsamkeit ist im Geist des Menschen. Ein Mensch kann im Dickicht
der Welt leben und gelassen bleiben. So jemand ist einsam. Ein
anderer mag im Wald leben, doch unfähig sein, seinen Geist zu
kontrollieren. Von ihm kann man nicht sagen, dass er einsam sei.
Einsamkeit ist eine Geisteshaltung. Ein Mensch, der an seinen
Wünschen hängt, kann nicht einsam sein, wo immer er auch sein mag.
Ein losgelöster Mensch ist immer einsam.«
F.:
»Man kann also ohne Wünsche seine Arbeit tun und die Einsamkeit
beibehalten. Ist es so?«
M.:
»Ja. Arbeit, die man mit Anhaftung erfüllt, ist eine Fessel,
während Arbeit ohne Anhaftung den Handelnden nicht berührt. Er ist
selbst während der Arbeit einsam.«
F.:
»Es soll in Tibet viele Heilige geben, die einsam leben und trotzdem
für die Welt von großem Nutzen sind. Wie ist das möglich?«
M.:
»Es ist möglich. Die Selbstverwirklichung ist die größte Hilfe,
die der Menschheit zuteil werden kann. Deshalb heißt es, dass die
Heiligen helfen, obwohl sie in den Wäldern bleiben. Man sollte aber
dabei nicht vergessen, dass es Einsamkeit nicht nur in den Wäldern
gibt. Man kann sie auch in den Städten, inmitten weltlicher
Beschäftigung haben.«
F.:
»Müssen sich die Heiligen nicht unter die Leute begeben, um ihnen
zu helfen?«
M.:
»Nur das Selbst ist die Wirklichkeit. Die Welt und alles Übrige
sind es nicht. Der Verwirklichte sieht die Welt nicht als von sich
selbst verschieden.«
F.:
»Bedeutet das, dass die Verwirklichung eines Menschen die Menschheit
erbaut, ohne dass sie sich dessen bewusst ist?«
M.:
»Ja. Die Hilfe geschieht unmerklich, ist aber trotzdem da. Ein
Verwirklichter hilft der ganzen Menschheit, ohne dass sie es weiß.«
F.:
»Wäre es nicht besser, wenn er unter die anderen Menschen ginge?«
M.:
»Es gibt keine anderen, unter die er gehen könnte. Das Selbst ist
die eine und einzige Wirklichkeit.«
F.:
»Wenn es hundert selbstverwirklichte Menschen gäbe, wäre das nicht
zum besseren Wohl der Welt?«
M.:
»Wenn du ›Selbst‹ sagst, dann beziehst du dich auf das
Unbegrenzte. Aber wenn du ›Menschen‹ hinzufügst, dann begrenzt
du die Bedeutung. Es gibt nur ein unendliches Selbst.«
F.:
»Ja, ich verstehe. Sri Krishna
sagt in der Gita, dass man die Arbeit ohne Anhaftung tun müsse und
dass solche Arbeit besser als Nichtstun sei. Ist damit karma
yoga gemeint?«
M.:
»Was gesagt wurde, entspricht der Veranlagung des Zuhörers.«
F.:
»In Europa verstehen die Leute nicht, dass ein Mensch, der in
Einsamkeit lebt, hilfreich sein kann. Sie glauben, dass nur Menschen,
die in der Welt wirken, nützlich sind. Wann wird dieser Irrtum
enden? Wird der europäische Geist weiterhin im Morast waten oder die
Wahrheit erkennen?«
M.:
»Sorge dich nicht um Europa oder Amerika. Wo sind diese Länder
außer in deinem Geist? Verwirkliche dein Selbst, dann ist alles
verwirklicht. Wenn du von Menschen träumst und dann aufwachst und
dich an deinen Traum erinnerst, versuchst du dann festzustellen, ob
die Personen in deiner Traumschöpfung auch wach sind?«
F.:
»Was denkt der Maharshi über die Theorie der Welt-Illusion (maya)?«
M.:
»Was ist maya? Sie ist nur Wirklichkeit.«
F.:
»Bedeutet maya nicht Illusion?«
M.:
»Der Ausdruck ›maya‹ wird benutzt, um die Manifestationen
der Wirklichkeit zu bezeichnen. Deshalb ist maya nur die
Wirklichkeit.«
F.:
»Manche Leute behaupten, Shankara sei nur ein
Intellektueller, aber kein Verwirklichter gewesen. Stimmt das?«
M.:
»Warum kümmerst du dich um Shankara? Verwirkliche dein
eigenes Selbst. Andere können für sich selbst sorgen.«
F.:
»Jesus Christus heilte Kranke. Geschah das nur durch okkulte Kraft
(siddhi)?«
M.:
»War sich Jesus bewusst, dass er Kranke heilte? Er konnte sich
seiner Kräfte nicht bewusst gewesen sein. Dazu gibt es folgende
Geschichte: Jesus hatte einst einen Blinden geheilt. Der Mann wurde
im Lauf der Zeit immer böser. Als Jesus ihm nach einigen Jahren
wieder begegnete und seine Bosheit sah, fragte er ihn nach dem Grund.
Er antwortete, dass er, als er blind gewesen sei, keine Sünden hätte
begehen können. Aber nachdem Jesus ihn von seiner Blindheit geheilt
habe, sei er böse geworden. Also sei Jesus dafür verantwortlich.«
F.:
»War Jesus nicht ein Vollkommener, der okkulte Kräfte (siddhis)
besaß?«
M.:
»Er konnte sich seiner Kräfte (siddhis) nicht bewusst
gewesen sein.«
F.:
»Ist es nicht gut, solche Kräfte wie Telepathie und dergleichen zu
erlangen?«
M.:
»Telepathie sowie das Radio ermöglichen einem, etwas von fern zu
sehen und zu hören. Es ist immer dasselbe Sehen und Hören. Ob man
etwas von Nahem oder Fernem hört, macht für das Hören keinen
Unterschied. Der grundlegende Faktor ist der Hörende, das Subjekt.
Ohne den Hörenden oder Sehenden kann es kein Hören oder Sehen
geben. Letzteres sind Funktionen des Geistes. Deshalb gehören die
okkulten Kräfte (siddhis) nur zum Geist, nicht zum Selbst.
Was aber nicht natürlich ist, sondern erworben wurde, kann nicht von
Dauer sein und ist nicht wert, dass man danach strebt.
Okkulte
Kräfte sind über das Normale hinausgehende Kräfte. Der Mensch
besitzt begrenzte Kräfte und fühlt sich elend. Er möchte seine
Kräfte ausweiten, um glücklich zu sein. Aber wird er das dadurch?
Wenn man sich schon mit begrenztem Wahrnehmungsvermögen elend fühlt,
dann muss das Elend mit zunehmendem Wahrnehmungsvermögen wachsen.
Okkulte Kräfte machen niemand glücklich, sondern nur elender!
Im
Übrigen: Wozu? Der Möchtegern-Okkultist (siddha) will seine
siddhis zur Schau stellen, damit die anderen ihn anerkennen.
Er sucht Anerkennung, und wenn sie sich nicht einstellt, ist er
unglücklich. Er braucht andere, die ihn anerkennen. Womöglich
trifft er auf jemanden, der noch größere Kräfte als er besitzt.
Das wird ihn eifersüchtig und noch unglücklicher machen. Der
bessere Okkultist (siddha) kann jemanden treffen, der noch
besser ist als er, und so geht es weiter, bis einer kommt, der alles
im Nu beiseite fegt. Dies ist der höchste Meister (siddha),
und Er ist Gott oder das Selbst.
Worin
besteht wahre Kraft? Darin, seinen Besitz zu vermehren oder Frieden
zu bringen? Was Frieden bringt, ist die höchste Vollkommenheit
(siddhi).«
F.:
»Aber der europäische und amerikanische Durchschnittsmensch würde
eine solche Haltung nicht anerkennen. Er will etwas zu sehen
bekommen, durch Vorträge unterrichtet werden usw.«
M.:
»Vorträge können die Menschen für einige Stunden unterhalten,
ohne sie zu bessern. Schweigen ist dagegen dauerhaft und kommt der
ganzen Menschheit zugute.«
F.:
»Schweigen wird aber nicht verstanden.«
M.:
»Das macht nichts. Mit Schweigen ist Beredsamkeit gemeint.
Belehrungen mit Worten sind nicht so beredsam wie Schweigen.
Schweigen ist dauerhafte Beredsamkeit. Der ursprüngliche Meister
Dakshinamurti ist dafür das Vorbild. Er lehrte seine rishi-Schüler
durch Schweigen.«
F.:
»Aber Er hatte damals Schüler. Da war das in Ordnung. Jetzt ist es
anders. Man muss sie aufsuchen, um ihnen zu helfen.«
M.:
»Diese Ansicht ist ein Zeichen von Unwissenheit. Die Kraft, die dich
erschaffen hat, hat auch die Welt erschaffen. Wenn sie sich um dich
kümmern kann, dann kann sie sich auch um die Welt kümmern.«
F.:
»Wie denkt Bhagavan über die verlorene Seelen, von denen Jesus
Christus sprach?«
M.:
»Überlege, was verloren gehen kann. Gibt es überhaupt etwas zu
verlieren? Was zählt, ist nur das, was natürlich ist. Es muss ewig
sein und kann nicht erfahren werden. Was geboren wurde, muss sterben.
Was erlangt wurde, muss verloren gehen. Aber wurdest du geboren? Du
existierst immer. Das Selbst kann niemals verloren gehen.«
F.:
»Buddha rät zum achtfachen Weg als dem besten, damit niemand
verloren gehen möge.«
M.:
»Ja. Er wird von den Hindus Raja Yoga genannt.«
F.:
»Ist es für einen spirituell Suchenden ratsam, Yoga zu üben?«
M.:
»Yoga hilft, den Geist zu kontrollieren.«
F.:
»Führt Yoga nicht zu okkulten Kräften (siddhis), die
gefährlich sein sollen.«
M.:
»Du hast deine Frage auf den spirituell Suchenden bezogen. Du hast
also nicht den, der nach okkulten Kräften (siddhis) sucht,
gemeint.«
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