Mittwoch, 28. November 2012

Talk 28


F.: »Worin besteht die wechselseitige Beziehung zwischen der Gedanken- und der Atemkontrolle?«
M.: »Intellektuelles Denken und Atmung, Kreislauf und sonstige vegetative Tätigkeiten sind verschieden Aspekte desselben – des individuellen Lebens. Beide hängen vom Leben ab – oder wohnen in ihm, will man es bildlich ausdrücken. Von ihm stammen die Persönlichkeit und andere Vorstellungen sowie die lebenswichtigen Funktionen. Wird die Atmung oder eine andere Lebensfunktion gewaltsam unterdrückt, dann wird damit auch das Denken unterdrückt. Wird das Denken gewaltsam verlangsamt und an einem Punkt festgemacht, dann verlangsamt sich auch die Lebensfunktion der Atmung, wird gleichmäßig und beschränkt sich auf das absolut Nötigste, um das Leben aufrecht zu erhalten. In beiden Fällen hört die ablenkende Vielfalt der Gedanken vorübergehend auf. Die wechselseitige Beziehung zwischen beidem macht sich auch auf andere Weise bemerkbar. Nimm zum Beispiel den Lebenswillen. Er besteht aus Gedankenkraft. Er bewahrt und hält das Leben aufrecht, auch wenn die anderen Lebensfunktionen bereits nahezu erschöpft sind, und verzögert den Tod. Fehlt dieser Lebenswille, wird das Sterben beschleunigt. Deshalb heißt es, dass das Denken das Leben in den Körper trägt und von einem Körper in den nächsten.«
F.: »Gibt es Hilfsmittel für die Konzentration und das Loswerden von Ablenkungen?«
B.: »Im physischen Bereich müssen die Verdauungsorgane und die anderen Organe frei von Reizung gehalten werden. Deshalb muss die Nahrung nach Menge und Qualität geregelt werden. Man isst reizlose Nahrung und vermeidet Chilli, ein Übermaß an Salz, Zwiebeln, Wein, Opium usw. Vermeide Verstopfung, Schläfrigkeit und Erregung und alle Nahrungsmittel, die das herbeiführen. Interessiere dich auf der geistigen Ebene nur für eine Sache und konzentriere dich darauf. Lass dich von diesem Interesse ganz in Anspruch nehmen und schließe alles andere aus. Das ist Leidenschaftslosigkeit (vairagya) und Konzentration. Du kannst dafür Gott oder ein Mantra wählen. Der Geist wird gestärkt, um das Subtile zu erfassen und mit ihm zu verschmelzen.«
F.: »Ablenkungen kommen von Neigungen. Kann man sie loswerden?«
M.: »Ja. Viele sind sie losgeworden, glaube mir! Sie haben es geschafft, weil sie glaubten, dass sie es meistern würden. Vasanas (Veranlagungen) können vernichtet werden. Es gelingt, indem man sich auf das konzentriert, was frei von vasanas und dennoch ihr Kern ist.«
F: »Wie lange muss die Übung fortgesetzt werden?«
Maharshi: »Bis man damit Erfolg hat und die Yoga-Befreiung beständig geworden ist. Erfolg zeugt Erfolg. Ist eine Ablenkung überwunden, überwindet man die nächste usw., bis sie schließlich alle überwunden sind. Es ist, wie wenn man eine feindliche Festung erobert, indem man die Feinde niederstreckt, einen nach dem anderen, sowie sie herauskommen.«
F.: »Was ist das Ziel dieses Prozesses?«
B.: »Das Wirkliche zu verwirklichen.«
F.: »Was ist die Natur der Wirklichkeit?«
B.: » a) Sein ohne Anfang und Ende – ewig
b) Sein überall, endlos, grenzenlos
c) Sein, das allen Formen, allen Veränderungen, allen Kräften, aller Materie und allem Geist (spirit) zugrunde liegt. Die Vielfalt der Erscheinungen verändert sich und vergeht (phenomena), während das Eine (noumenon) immer bleibt .
d) Das Eine ersetzt die Dreiheiten wie von Wissendem, Wissen und Gewusstem. Die Dreiheiten sind nur Erscheinungen in Raum und Zeit, während die Wirklichkeit jenseits und hinter ihnen liegt. Sie sind wie eine Luftspiegelung, die über der Wirklichkeit liegt, das Ergebnis von Täuschung.«
F.: »Wenn auch das Ich eine Illusion ist, wer ist es dann, der diese Illusion abstreift?«
B.: »Das Ich wirft die Illusion des Ich ab und bleibt dennoch das Ich. Das ist das Paradoxe an der Selbstverwirklichung. Der Verwirklichte sieht darin jedoch keinen Widerspruch. Denke an bhakti (die Gottesverehrung). Ich nähere mich Iswara und bete, in Ihm aufzugehen. Dann übergebe ich mich im Glauben und durch Konzentration. Was bleibt danach übrig? Anstelle des ursprünglichen Ich hinterlässt die völlige Selbsthingabe etwas, das Gott ist, in dem das Ich verloren gegangen ist. Dies ist die höchste Form von Verehrung (parabhakti) oder Hingabe (prapatti) und der Gipfel der Entsagung (vairagya).
Du magst dies und jenes von ›deinem‹ Besitz aufgeben, aber wenn du stattdessen das Ich und Mein aufgibst, ist damit alles auf einmal aufgegeben und der Same des Besitztums ist zerstört. Auf diese Weise ist das Übel im Keim erstickt. Aber man muss große Losgelöstheit (vairagya) haben, um das zu tun. Das Verlangen danach muss so groß sein wie das eines Menschen, den man unter Wasser hält, an die Oberfläche zu kommen und zu atmen.«
F.: »Kann dieses Problem nicht mithilfe eines Meisters oder eines Ishta Devata (verehrte Gottheit) verringert werden? Können sie uns nicht die Kraft geben, dass wir unser Selbst sehen wie es ist, und uns zur Selbstverwirklichung führen, indem sie uns in sich selbst verwandeln?«
M.: »Der Ishta Devata und der Guru sind Hilfen – machtvolle Hilfen auf diesem Weg. Sollen sie aber wirken, ist auch deine Anstrengung nötig. Deine Anstrengung ist eine absolute Notwendigkeit. Du musst die Sonne sehen. Kann denn eine Brille oder die Sonne für dich sehen? Du selbst musst deine wahre Natur erkennen. Dazu braucht es keine große Hilfe!«
D.: »Wie verhalten sich mein freier Wille und die überwältigende Macht des Allmächtigen zueinander? a) Ist Gottes Allwissenheit mit dem freien Willen des Individuums vereinbar? b) Ist Gottes Allmacht mit dem freien Willen des Individuums vereinbar? c) Sind die Naturgesetze mit Gottes freiem Willen vereinbar?«
B.: »Ja. Der freie Wille des Individuums ist die Gegenwart, wie sie der begrenzten Fähigkeit seiner Einsicht und seines Wollens erscheint. Dasselbe Individuum erkennt, dass seine vergangenen Handlungen in den Ablauf von Gesetzen oder Regeln fallen, wobei sein eigener freier Wille eines der Glieder dieser Gesetzmäßigkeiten war. Es erkennt, dass die Allmacht und Allwissenheit Gottes durch seinen eigenen freien Willen gehandelt hat und folgert daraus, dass sich das Ego nach den Erscheinungsformen richten muss. Die Naturgesetze sind Manifestationen von Gottes Willen und sind als solche festgelegt.«
F: »Hat das Studium der Wissenschaften wie der Psychologie, Physiologie, Philosophie usw. einen Nutzen für die Kunst der Yoga-Befreiung und das intuitive Verstehen der Einheit des Wirklichen?«
B: »Nur begrenzt. Fürs Yoga ist etwas theoretisches Wissen nötig, das man sich aus Büchern holen kann. Aber was wirklich notwendig ist, ist die praktische Anwendung. Das persönliche Beispiel, der persönliche Kontakt und die persönliche Anleitung sind die besten Hilfen. Was das intuitive Verstehen betrifft kann ein Mensch sich zwar mühsam von der Wahrheit, die man durch Intuition erfassen muss, von ihrer Funktion und Natur intellektuell überzeugen, aber die wirkliche Intuition gleicht eher einem Empfinden und benötigt Praxis und persönlichen Kontakt. Nur aus Büchern zu lernen nützt wenig. Nach der Verwirklichung ist alle intellektuelle Fracht ein nutzloser Ballast, den man über Bord wirft. Es ist unumgänglich und natürlich, das Ego über Bord zu werfen.«
F.: »Wie unterscheidet sich der Traum vom Wachzustand?«
M.: »Im Traum nimmt man verschiedene Körper an, die in diesen Körper zurückkehren, wenn man von Sinneswahrnehmungen träumt. «
F.: »Was ist Glück? Ist es im atman oder im Objekt zu finden oder im Kontakt zwischen Subjekt und Objekt? Wir finden in unseren Angelegenheiten kein Glück. Wann entsteht Glück?«
M.: »Wenn wir in Berührung mit etwas Angenehmem kommen oder es uns in Erinnerung rufen und wenn wir von Unangenehmem oder von Erinnerungen daran frei sind, dann nennen wir das Glück. Solches Glück ist relativ und sollte besser ›Vergnügen‹ genannt werden. Der Mensch wünscht sich aber völliges und dauerhaftes Glück. Das ist nicht in den Objekten zu finden, sondern im Absoluten. Es ist Friede, der frei von Schmerz und Vergnügen ist. Es ist ein neutraler Zustand.«
F.: »In welchem Sinn ist Glück unsere wahre Natur?«
M.: »Vollkommenes Glück ist Brahman. Vollkommener Friede ist der Friede des Selbst. Das Selbst allein existiert und ist bewusst. Man kommt sowohl durch metaphysische Überlegungen als auch durch bhakti marga (den Weg der Hingabe) zum gleichen Ergebnis.
Wir bitten Gott um Seligkeit und erlangen sie durch Seine Gnade. Derjenige, der Seligkeit geben kann, muss selbst Seligkeit und Unendlichkeit sein. Deshalb ist Iswara der persönliche Gott, unendliche Macht und Seligkeit. Brahman ist unpersönliche und absolute Seligkeit. Die endlichen Einzelwesen, die ihre Quelle von Brahman und danach von Iswara ableiten, sind in ihrer spirituellen Natur nur Seligkeit. Biologisch gesehen funktioniert ein Organismus, weil seine Funktionen Freude machen. Es ist Freude, die uns wachsen lässt. Nahrung, Körperbetätigung, Ruhe und Geselligkeit bereiten Freude. Vielleicht besteht die Philosophie oder Metaphysik der Freude darin, dass wir von Natur aus ursprünglich eins sind, vollkommen und glücklich. Nehmen wir das einmal als wahrscheinlich an. Dann entsteht die Schöpfung durch das Auseinanderbrechen der ganzen Gottheit in Gott und Natur (maya oder prakriti). Diese maya ist von zweifacher Art: (para) – die erhaltende Substanz und (apara) – die fünf Elemente, Geist, Intellekt und das Ego (achtfach).
Die Vollkommenheit des Egos zerbricht plötzlich an einem Punkt und man spürt ein Verlangen, das zu einem Wunsch wird, etwas zu bekommen oder zu tun. Wenn man das Gewünschte erhalten hat und damit das Verlangen gestillt ist, ist das Ego glücklich und die ursprüngliche Vollkommenheit ist wiederhergestellt. Deshalb kann man sagen, dass das Glück unser natürlicher Zustand oder unsere Natur ist. Freude und Leid sind relativ und beziehen sich auf unseren begrenzten Zustand, der durch die Befriedigung von Wünschen aufrecht erhalten wird. Wenn man diesen Vorgängen Einhalt gebietet und die Seele in Brahman eingeht, dessen Natur vollkommener Friede ist, hört die Seele auf, vergängliche Freude zu empfinden und genießt den vollkommenen Frieden, die höchste Seligkeit. Deshalb ist die Selbstverwirklichung Seligkeit. Sie bedeutet, das Selbst als grenzenloses Auge (jnana dristi) zu verwirklichen und nicht etwa Hellsehen. Sie ist die höchste Selbsthingabe. Samsara (der Zyklus der Welt) dagegen ist Leid.«
F.: »Warum ist dann samsara – die endliche Schöpfung und Manifestation – so leidvoll und böse?«
M.: »Das ist Gottes Wille.«
F.: »Warum will es Gott so?«
M.: »Das ist unbegreiflich. Man kann dieser Kraft keinen persönlichen Beweggrund unterstellen – dem einen unendlichen, allwissenden und allmächtigen Sein kann kein Wollen und kein Ziel zugeschrieben werden. Gott bleibt von den Handlungen, die in Seiner Gegenwart geschehen, unberührt. Nimm den Vergleich von der Sonne und dem, was in der Welt geschieht. Es hat keinen Sinn, dem Einen, bevor es zu dem Vielen wurde, Verantwortung und einen Beweggrund zuzuschreiben. Aber den Lauf der Dinge als Gottes Wille zu bezeichnen, ist eine gute Lösung für das Problem des freien Willens (vexata quaestio). Ist der Geist rastlos infolge eines Gefühls der Unvollkommenheit und der Unzufriedenheit mit dem, was uns zustößt oder was wir getan oder unterlassen haben, dann ist es klug, das Gefühl der Verantwortung und des freien Willens fallen zu lassen, indem wir uns als ein vom Allwissenden und Allmächtigen bestimmtes Werkzeug betrachten, und zu tun und zu leiden, wie es Ihm gefällt. Er trägt alle Last und gibt uns Frieden.«



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