Freitag, 2. November 2012

Talk 17

Herr W. Y. Evans-Wentz, ein englischer Forscher der Oxford Universität, kam zu Besuch und brachte ein Empfehlungsschreiben von Herrn Brunton mit. Er war von der Reise erschöpft und brauchte zunächst Ruhe. Er ist an die indischen Sitten gewöhnt und ist schon öfter in Indien gewesen. Er hat Tibetisch gelernt und das Tibetanische Totenbuch, die Biografie Milarepas, des größten tibetischen Yogi, sowie ein Buch über die tibetanischen Geheimlehren herausgebracht.
Am Nachmittag stellte er einige Fragen über Yoga. Er wollte wissen, ob es richtig sei, Tiere wie Tiger und Rehe zu töten, um ihr Fell als Unterlage für die Yogastellung (asana) zu benutzen.
M.: »Der Geist ist der Tiger oder das Reh.«
F.: »Wenn alles eine Illusion ist, dann darf man also töten?«
M.: »Wer hat die Illusion? Finde das heraus. Tatsächlich ist jeder in jedem Augenblick seines Lebens ein Mörder des Selbst (atmahan).«
F.: ›Welche Yogastellung ist die beste?‹
M.: »Jede Stellung, vielleicht sukha asana (die leichte oder Halb-Buddha-Stellung). Aber das ist für jnana (den Weg der Erkenntnis) unwesentlich.«
F.: »Lässt die Sitzhaltung auf die Veranlagung schließen?›
M.: »Ja.«
F.: »Was sind die Eigenschaften und Wirkungen eines Tiger- oder Rehfells oder von Wolle?«
M.: »Das wird in Yoga-Büchern beschrieben. Es hat mit der guten oder schlechten magnetischen Leitfähigkeit usw. zu tun. Aber das alles ist für den Weg der Erkenntnis (jnana marga) bedeutungslos. Die Haltung meint in Wirklichkeit Stand und Festigkeit im Selbst, und sie ist im Innern. Beim anderen handelt es sich um äußere Haltungen.«
F.: »Welche Zeit ist für die Meditation am besten?«
M.: »Was ist Zeit?«
F.: »Sag es mir!«
M.: »Zeit ist lediglich eine Vorstellung. Es gibt nur die Wirklichkeit. Was immer du glaubst, das sie ist, das scheint sie zu sein. Wenn du sie Zeit nennst, ist sie Zeit. Wenn du sie Existenz nennst, ist sie Existenz und so fort. Nachdem du sie Zeit genannt hast, unterteilst du sie in Tage und Nächte, Monate, Jahre, Stunden, Minuten usw. Zeit ist für den Weg der Erkenntnis unwesentlich. Aber einige dieser Regeln und Disziplinen sind für den Anfänger nützlich.«
F.: »Worin besteht der Pfad der Erkenntnis (jnana marga)?«
M.: »Die Konzentration des Geistes ist beiden gemein, dem Pfad des Erkennens und dem des Yoga. Yoga strebt die Einheit des Individuums mit dem Ganzen, mit der Wirklichkeit, an. Diese Wirklichkeit kann nicht neu sein. Sie muss auch jetzt existieren und sie existiert. Deshalb versucht man auf dem Pfad der Erkenntnis herauszufinden, wie viyoga (Trennung) entstanden ist. Die Trennung ist ja nur eine Trennung von der Wirklichkeit.«
F.: »Was ist Illusion?«
M.: »Wer hat die Illusion? Finde das heraus. Dann verschwindet sie. Immer wollen die Leute wissen, was Illusion ist, und untersuchen nicht, wer sie hat. Das ist töricht. Illusion ist etwas Äußeres und Unbekanntes. Aber der Sucher gilt als bekannt und ist im Innern. Finde heraus, was unmittelbar und vertraut ist, anstatt herauszufinden, was weit weg und unbekannt ist.«
F.: »Empfiehlt Bhagavan Europäern eine bestimmte Körperhaltung?«
M.: »Vielleicht ist es ganz nützlich, eine bestimmte Sitzhaltung einzunehmen. Doch es muss klar sein, dass das Fehlen von asanas, festen Zeiten oder etwas von dieser Art die Meditation nicht verhindert
F.: »Empfiehlt der Maharshi Europäern eine besondere Methode?«
M.: ›Das hängt von der geistigen Fähigkeit des Einzelnen ab. Es gibt keine starren und festen Regeln.‹«

Herr Evans-Wentz stellte noch mehrere Fragen, von denen sich die meisten auf die Yoga-Vorbereitungen bezogen. Der Maharshi beantwortete alle dahingehend, dass sie Hilfsmittel fürs Yoga seien, das selbst eine Hilfsmittel für die Selbstverwirklichung, dem Ziel von allem, sei.
F.: »Ist Arbeit ein Hindernis für die Selbstverwirklichung?«
M.: »Nein. Für den Verwirklichten ist allein das Selbst die Wirklichkeit. Die Handlungen gehören lediglich der Welt der Erscheinungen an. Sie berühren das Selbst nicht. Auch wenn der Verwirklichte handelt, hat er nicht das Empfinden, ein Handelnder zu sein. Seine Handlungen geschehen unwillkürlich, und er bleibt ihnen gegenüber ein Zeuge, ohne ihnen verhaftet zu sein. Sein Handeln geschieht absichtslos. Auch jemand, der auf dem Weg der Erkenntnis (jnana) ist, kann üben, während er einer Beschäftigung nachgeht. Am Beginn kann es für den Anfänger schwierig sein, aber nach einiger Übung gelingt es, und die Arbeit wird nicht mehr als Hindernis für die Meditation empfunden.«
F.: »Worin besteht die Übung?«
M.: »In der beständigen Suche nach dem ›Ich‹, der Quelle des individuellen Ich. ›Wer bin ich?‹ – finde das heraus. Das reine ›Ich‹ ist die Wirklichkeit, Sein-Bewusstsein-Seligkeit in seiner Absolutheit. Wenn man DAS vergisst, entsteht das ganze Elend. Wenn man DAS festhält, kann das Elend der Person nichts anhaben.«
F.: »Ist nicht brahmacharya (Ehelosigkeit) notwendig, um das Selbst zu verwirklichen?«
B.: »Brahmacharya bedeutet, in Brahman zu leben. Es hat nichts mit Ehelosigkeit zu tun, wie es üblicherweise verstanden wird. Ein wahrer brahmachari ist einer, der in Brahman lebt, und in Brahman, das mit dem Selbst identisch ist, sein Glück findet. Warum sollte er dann nach anderen Glücksquellen suchen? In Wirklichkeit ist das Auftauchen aus dem Selbst die Ursache allen Elends.«
F.: »Ist nicht Ehelosigkeit eine grundlegende Bedingung für den Weg des Yoga?«
B.: »Sie ist sicherlich für die Verwirklichung ein Hilfsmittel unter vielen anderen.«
F.: »Dann ist sie nicht unbedingt nötig? Kann ein verheirateter Mann das Selbst verwirklichen?«
B.: »Selbstverständlich. Es ist eine Frage der geistigen Reife. Verheiratet oder unverheiratet, man kann das Selbst verwirklichen, denn das Selbst ist hier und jetzt da. Wenn das nicht der Fall wäre und es nur durch Anstrengung irgendwann in der Zukunft erlangt werden könnte, wenn es etwas Neues wäre, das man erwerben müsste, dann wäre es nicht der Suche wert. Denn was nicht natürlich ist, kann auch nicht von Dauer sein. Deshalb sage ich, dass das Selbst hier und jetzt da ist und dass ES allein existiert.«
F.: »Da Gott in allen Lebewesen wohnt, darf man kein Leben nehmen. Ist es von der Gesellschaft richtig, einen Mörder hinzurichten? Oder darf es der Staat? In den christlichen Länder beginnt man, es für unrecht zu halten.«
M.: »Was hat den Mörder veranlasst, eine Straftat zu begehen? Dieselbe Kraft lässt ihm nun die Bestrafung zuteil werden. Die Gesellschaft oder der Staat sind nur ein Werkzeug in der Hand dieser Kraft. Du sprichst von einem Leben, das genommen wurde – was aber ist mit den unzähligen Leben, die der Krieg vernichtet?«
F.: »Genau. Töten ist in jedem Fall unrecht. Sind Kriege zu rechtfertigen?«
M.: »Für den Verwirklichten, demjenigen, der immer im Selbst bleibt, macht der Verlust eines oder mehrerer oder aller Leben in dieser Welt oder in allen drei Welten1 keinen Unterschied. Selbst wenn er es wäre, der alle vernichten würde, könnte keine Sünde eine solch reine Seele berühren.«
Der Maharshi zitierte aus der Bhagavad Gita Kapitel 18, Vers 17: »Wer frei von der Vorstellung des Egos ist, wessen Verstand ungebunden ist, der tötet nicht, selbst wenn er alle Welten vernichtet, noch ist er an das Resultat seiner Handlungen gebunden.«
F.: »Wirken sich die Handlungen eines Menschen nicht auf seine zukünftigen Geburten aus?«
B.: »Bist du jetzt geboren? Warum denkst du über künftige Geburten nach? In Wahrheit gibt es weder Geburt noch Tod. Soll der, der geboren wurde, an den Tod denken und wie er sich Linderung verschaffen kann.«
F.: »Wie lange hat der Maharshi gebraucht, um das Selbst zu verwirklichen?«
B.: »Diese Frage stellst du, weil du Name und Form wahrnimmst. Diese Wahrnehmungen ergeben sich aus der Identifikation des Egos mit dem grobstofflichen Leib.
Wenn sich das Ego, wie im Traum, mit dem subtilen Geist identifiziert, dann sind auch die Wahrnehmungen subtil. Aber im Tiefschlaf gibt es keine Wahrnehmungen. War derweilen das Ich nicht trotzdem da? Andernfalls könnte es keine Erinnerung geben, geschlafen zu haben. Wer also hat geschlafen? Du sagst in deinem Schlaf nicht, dass du schläfst. Du sagst es erst jetzt, im Wachzustand. Deshalb ist das Ich dasselbe im Wachen, Traum und Tiefschlaf. Finde die Wirklichkeit hinter diesen Zuständen. Das ist die Wirklichkeit, die ihnen zugrunde liegt. In diesem Zustand gibt es nur das Sein. Es gibt kein du, ich oder er, keine Gegenwart, keine Vergangenheit und keine Zukunft. Dieser Zustand ist jenseits von Raum und Zeit und kann nicht mit Worten beschrieben werden. Er ist immer da.
Wie eine Bananenstaude Schösslinge aus den Wurzeln treibt, bevor sie Früchte trägt und abstirbt, und die Schösslinge dasselbe tun, nachdem sie eingepflanzt wurden, so hat auch der ursprüngliche alte Meister (Dakshinamurti), der die Zweifel seiner Rishis-Schüler in Schweigen klärte, Schösslinge hinterlassen, die sich beständig vermehren. Der Guru ist ein Spross von Dakshinamurti. Die Frage taucht nicht auf, wenn das Selbst verwirklicht ist.«
F.: »Erfährt der Maharshi nirvikalpa samadhi
M.: »Wenn die Augen geschlossen sind, ist es nirvikalpa, wenn sie offen sind, ist es savikalpa, in dem es zwar Unterschiede, aber völlige Ruhe gibt. Der stets gegenwärtige Zustand ist der natürliche Zustand von sahaja
1die Welt der Götter, die der Menschen und die der Unterwelt

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