Freitag, 30. November 2012

Talk 30

Herr Natesa Iyer, Rechtsanwalt in einer südindischen Stadt und orthodoxer Brahmane, fragte:
F.: »Sind die Götter Iswara und Vishnu und ihre Himmel Kailash und Vaikuntha wirklich?«
B.: »So wirklich wie du in diesem Körper bist.«
F.: »Haben sie eine phänomenale Existenz wie mein Körper, oder sind sie reine Erfindungen wie das Horn eines Hasen?«
B.: »Sie existieren.«
F.: »Dann müssen sie irgendwo sein. Wo sind sie?«
M.: »Die Menschen, die sie gesehen haben, sagen, dass sie irgendwo sind. Wir müssen ihre Behauptung akzeptieren.«
F.: »Aber wo sind sie?«
B.: »In dir.«
F.: »Dann sind sie nur meine Vorstellung, etwas, das ich erschaffen und kontrollieren kann?«
B.: »Alles ist so.«
F.: »Aber ich kann mir etwas ausdenken, das nicht existiert, wie das Horn eines Hasen oder etwas, das nur teilweise wirklich ist, wie eine Luftspiegelung, während es auch Tatsachen gibt, die unabhängig von meiner Einbildungskraft existieren. Gehören die Götter Iswara und Vishnu dazu?«
B.: »Ja.«
F.: »Ist Gott der kosmischen Auflösung (pralaya) unterworfen?«
B.: »Warum sollte Er das sein? Ein Mensch, der sich des Selbst bewusst wird, überschreitet die kosmische Auflösung (pralaya) und ist befreit (mukta). Warum sollte es mit Iswara (Gott), der unendlich viel weiser und fähiger als ein Mensch ist, anders sein?«
F.: »Dann existieren Götter (devas) und Dämonen (pisachas) ebenso?«
B.: »Ja.«
F.: »Wie können wir uns das höchste göttliche Bewusstsein (Chaitanya Brahman) vorstellen?«
B.: »Als das, was es ist.«
F.: »Sollen wir es uns als aus sich selbst strahlend vorstellen?«
M.: »Es überschreitet Licht und Dunkelheit. Ein Individuum (jiva) sieht beides. Das Selbst erleuchtet das Individuum, damit es Licht und Dunkelheit wahrnehmen kann.«
F.: »Soll man es als ›Ich bin nicht der Körper, noch der Handelnde, noch der Genießende usw.‹ verwirklichen?«
M.: »Wozu diese Gedanken? Denken wir jetzt etwa, dass wir Menschen sind usw. Hören wir etwa auf, Menschen zu sein, wenn wir es nicht denken?«
F.: »Sollte man es dann durch die Worte der heiligen Schrift, wie etwa: ›Dort gibt es keinen Unterschied‹ verwirklichen?«
M.: »Wozu selbst das?«
F.: »Genügt es zu denken: ›Ich bin das Wirkliche‹?«
M.: »Alle Gedanken sind mit der Verwirklichung unvereinbar. Richtig ist, alle Gedanken über uns sowie alle anderen Gedanken auszuschließen. Denken ist das Eine – Verwirklichung ist etwas ganz anderes.«
F.: »Ist es nicht nötig oder zumindest von Vorteil, den Körper unsichtbar zu machen, wenn man sich spirituell weiterentwickelt?«
B.: »Warum denkst du daran? Bist du der Körper?«
F.: »Nein, aber eine fortgeschrittene Spiritualität muss auch eine körperliche Veränderung bewirken, oder etwa nicht?«
B.: »Welche körperliche Veränderung wünschst du dir und warum?«
F.: »Ist Unsichtbarkeit nicht ein Beweis für fortgeschrittene Weisheit (jnana)?«
B.: »In diesem Fall müssten all jene, die für andere sichtbar sprachen, schrieben und lebten, als Unverwirklichte (ajnanis) betrachtet werden.«
F.: »Aber die Weisen Vasishta und Valmiki besaßen solche Kräfte.«
B.: »Vielleicht war es ihre Bestimmung (prarabdha), solche Kräfte (siddhis) neben ihrer Weisheit (jnana) zu entwickeln. Warum willst du nach dem streben, was unwesentlich ist und leicht zu einem Hindernis für die Weisheit (jnana) werden kann? Fühlt sich denn der Weise (jnani) durch die Sichtbarkeit seines Körpers geknechtet?«
F.: »Nein.«
B.: »Ein Magier kann sich plötzlich unsichtbar machen. Ist er deshalb ein Weiser (jnani)?«
B.: »Nein.«
F.: »Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit beziehen sich auf denjenigen, der sieht. Wer ist er? Löse zuerst diese Frage. Andere Fragen sind unwichtig.«
F.: »In den Veden gibt es widersprüchliche Schöpfungsberichte. Einmal heißt es, dass der Äther zuerst erschaffen wurde. An anderen Stellen werden Lebensenergie (prana), Wasser oder noch etwas anderes genannt. Wie kann man das alles unter einen Hut bringen? Macht das nicht die Veden unglaubwürdig?«
B.: »Verschiedene Seher haben zu unterschiedlichen Zeiten verschiedene Aspekte der Wahrheit wahrgenommen, wobei jeder einen bestimmten Standpunkt betonte. Warum kümmern dich ihre widersprüchlichen Aussagen? Das eigentliche Ziel der Veden ist, uns die Natur des unvergänglichen Selbst (atman) zu lehren und aufzuzeigen, dass wir DAS sind.«
F.: »Mit diesem Teil bin ich zufrieden.«
B.: »Dann betrachte den Rest als Hilfsargumente oder Erklärungen für die Unwissenden, die die Ursache der Dinge erkennen möchten.«
F.: »Ich bin ein Sünder und erfülle keinerlei religiöse Riten (homas) usw. Werde ich deswegen schlimme Wiedergeburten haben? Bitte, rette mich!«
B.: »Warum sagst du, du seist ein Sünder? Vertrauen auf Gott genügt, um dich vor Wiedergeburten zu bewahren. Wirf deine ganze Last auf Ihn.
Im Tiruvasagam steht: ›Obwohl ich schlechter als ein Hund bin, hast Du es gnädig auf Dich genommen, mich zu beschützen. Du bist es, der die Illusion von Geburt und Tod aufrecht erhält. Ist es meine Aufgabe, zu urteilen? Bin ich hier der Herr? O Maheswara (allmächtiger Gott), es ist Deine Aufgabe, mich durch viele Körper kreisen zu lassen oder mich zu Deinen Füßen zu behalten.‹ Deshalb habe Vertrauen. Das wird dich retten.«
F.: »Herr, ich habe Vertrauen – trotzdem habe ich Schwierigkeiten. Nachdem ich Konzentration geübt haben, werde ich schwach und leichtfertig
M.: »Richtig ausgeführte Atemkontrolle (pranayama) sollte stärkend wirken.«
D.: »Ich bin berufstätig, möchte aber in ständiger Meditation (dhyana) verweilen. Ist das ein Widerspruch?«
M.: »Nein. Indem du beides tust und deine Kräfte entfaltest, wirst du fähig, dich beidem zu widmen. Du wirst anfangen, deine berufliche Tätigkeit wie ein Traum zu betrachten. In der Bhagavad Gita II, 69 heißt es: ›Das, was für alle Wesen Nacht ist, ist für den disziplinierten Menschen die Zeit aufzuwachen. Wenn andere wachen, ist es für den sehenden Weisen Nacht.‹«

Talk 29

Ein andermal. Der Abend war still und bewölkt. Es nieselte gelegentlich und war infolgedessen etwas kühl. Die Fenster der Halle waren geschlossen worden. Der Maharshi saß wie üblich auf seinem Sofa. Ihm gegenüber saßen die Devotees. Es waren Besucher aus Cuddalore gekommen. Unter ihnen war ein Richter, der von zwei älteren Damen begleitet wurde. Der Richter begann ein Gespräch über die Unbeständigkeit aller weltlichen Dinge mit der Frage:
»Hat die Unterscheidung zwischen dem Wirklichen und dem Unwirklichen (Sat asat vicharana) in sich selbst die Kraft, uns zur Verwirklichung des einen Unvergänglichen zu führen?«
M.: »Es ist von allen wahren Suchern dargelegt und erfahren worden, dass allein das beständige Verweilen im höchsten Geist (Brahma nishta) uns Es erkennen und verwirklichen lässt. Da wir Es sind und Es in uns ist, kann uns jegliches Üben von Unterscheidung nur einen Schritt vorwärts bringen, indem sie uns zur Entsagung bringt, indem sie uns antreibt, das Sichtbare (abhasa) als vergänglich zu verwerfen und allein an der ewigen Wahrheit und Gegenwart festzuhalten.«
Das Gespräch wandte sich der Frage zu, ob göttliche Gnade (Iswara prasadam) zum Erreichen des universellen Reiches (samrajya) nötig sei oder ob nicht das ehrliche und unermüdliche Bemühen des jiva, es zu erlangen, ihn von selbst zu Dem führen könne, von Dem aus es keine Rückkehr zu Leben und Tod mehr gibt.
Ein unbeschreibliches Lächeln erstrahlte auf dem heiligen Antlitz des Maharshi, das alle erreichte, die um ihn herum saßen, als er mit fester Stimme erwiderte: »Göttliche Gnade ist für die Verwirklichung unabdingbar. Sie führt zur Gottverwirklichung. Aber diese Gnade wird nur dem zuteil, der ein wahrer Verehrer oder Yogi ist und hart und beständig auf dem Weg zur Freiheit vorangegangen ist.«
F.: »In den Yoga-Büchern werden sechs Zentren erwähnt, aber der jiva soll im Herzen wohnen. Stimmt das?«
M.: »Ja. Es heißt, dass der jiva im Tiefschlaf im Herzen und im Wachzustand im Gehirn weilt. Das Herz darf aber nicht mit dem Blut pumpenden Muskel mit vier Kammern verwechselt werden. Es gibt zwar Stellen in den Schriften, die diese Ansicht vertreten. Andere wiederum halten das Herz für eine Gruppe von Ganglien oder Nervenzentren in diesem Bereich. Für uns spielt es keine Rolle, welche Sichtweise die richtige ist. Wir sind mit nichts Geringerem als mit unserem Selbst befasst und das haben wir ganz sicher in uns. Darüber kann es keinen Zweifel und keine Diskussion geben.
In den Veden und den anderen Schriften wird mit ›Herz‹ die Stelle bezeichnet, von wo der Ich-Gedanke entspringt. Entspringt er etwa nur aus einem Fleischklumpen? Es entspringt etwas rechts von der Mitte unseres Körpers. Aber das wahre Ich hat keinen Ort. Alles ist das Selbst. Es gibt nichts anderes außer Es. Deshalb muss man sagen, dass das Herz unser ganzer Körper und das ganze Universum ist, das wir als Ich wahrnehmen. Um aber dem Übenden (abhyasi) zu helfen, müssen wir einen bestimmten Teil des Universums oder des Körpers bestimmen. Deshalb wird auf das Herz als Sitz des Selbst verwiesen. In Wirklichkeit sind wir jedoch überall, wir sind alles, was ist, und etwas anderes gibt es nicht.«
F.: »Es heißt, dass göttliche Gnade nötig sei, um samadhi, den unabgelenkten Zustand des Geistes zu erreichen. Stimmt das?«
M.: »Wir sind Gott (Iswara). Iswara Drishti, d.h. uns als Gott zu erkennen, ist göttliche Gnade. Deshalb brauchen wir göttliche Gnade, um Gottes Gnade zu erlangen.«
Der Maharshi lächelte und alle Devotees lachten.
F.: »Es gibt auch eine Göttliche Gunst (Iswara anugraham), die etwas anderes als göttliche Gnade (Iswara prasadam) ist. Stimmt das?«
M.: »Der Gedanke an Gott ist göttliche Gunst. Er ist von Natur aus Gnade (prasad oder arul). Es ist Gottes Gnade, dass du an Ihn denkst.«
F.: »Ist nicht die Gnade des Meisters das Ergebnis von Gottes Gnade?«
M.: »Warum unterscheidest du zwischen den beiden? Der Meister ist dasselbe wie Gott und nicht von Ihm verschieden.«
F.: »Wenn man sich anstrengt, um ein rechtes Leben zu führen und das Denken auf das Selbst zu konzentrieren, dann folgt dem oft ein Stolpern und Sturz. Was soll man dagegen tun?«
M.: »Am Ende wird alles gut. Deine Entschlossenheit gibt dir einen beständigen Impuls, der dich nach jedem Sturz und Zusammenbruch wieder auf die Beine bringt. Allmählich überwindest du alle Hindernisse und dein Antrieb wird stärker. Alles wird am Ende gut. Du musst nur immer entschlossen sein.«

Mittwoch, 28. November 2012

Talk 28


F.: »Worin besteht die wechselseitige Beziehung zwischen der Gedanken- und der Atemkontrolle?«
M.: »Intellektuelles Denken und Atmung, Kreislauf und sonstige vegetative Tätigkeiten sind verschieden Aspekte desselben – des individuellen Lebens. Beide hängen vom Leben ab – oder wohnen in ihm, will man es bildlich ausdrücken. Von ihm stammen die Persönlichkeit und andere Vorstellungen sowie die lebenswichtigen Funktionen. Wird die Atmung oder eine andere Lebensfunktion gewaltsam unterdrückt, dann wird damit auch das Denken unterdrückt. Wird das Denken gewaltsam verlangsamt und an einem Punkt festgemacht, dann verlangsamt sich auch die Lebensfunktion der Atmung, wird gleichmäßig und beschränkt sich auf das absolut Nötigste, um das Leben aufrecht zu erhalten. In beiden Fällen hört die ablenkende Vielfalt der Gedanken vorübergehend auf. Die wechselseitige Beziehung zwischen beidem macht sich auch auf andere Weise bemerkbar. Nimm zum Beispiel den Lebenswillen. Er besteht aus Gedankenkraft. Er bewahrt und hält das Leben aufrecht, auch wenn die anderen Lebensfunktionen bereits nahezu erschöpft sind, und verzögert den Tod. Fehlt dieser Lebenswille, wird das Sterben beschleunigt. Deshalb heißt es, dass das Denken das Leben in den Körper trägt und von einem Körper in den nächsten.«
F.: »Gibt es Hilfsmittel für die Konzentration und das Loswerden von Ablenkungen?«
B.: »Im physischen Bereich müssen die Verdauungsorgane und die anderen Organe frei von Reizung gehalten werden. Deshalb muss die Nahrung nach Menge und Qualität geregelt werden. Man isst reizlose Nahrung und vermeidet Chilli, ein Übermaß an Salz, Zwiebeln, Wein, Opium usw. Vermeide Verstopfung, Schläfrigkeit und Erregung und alle Nahrungsmittel, die das herbeiführen. Interessiere dich auf der geistigen Ebene nur für eine Sache und konzentriere dich darauf. Lass dich von diesem Interesse ganz in Anspruch nehmen und schließe alles andere aus. Das ist Leidenschaftslosigkeit (vairagya) und Konzentration. Du kannst dafür Gott oder ein Mantra wählen. Der Geist wird gestärkt, um das Subtile zu erfassen und mit ihm zu verschmelzen.«
F.: »Ablenkungen kommen von Neigungen. Kann man sie loswerden?«
M.: »Ja. Viele sind sie losgeworden, glaube mir! Sie haben es geschafft, weil sie glaubten, dass sie es meistern würden. Vasanas (Veranlagungen) können vernichtet werden. Es gelingt, indem man sich auf das konzentriert, was frei von vasanas und dennoch ihr Kern ist.«
F: »Wie lange muss die Übung fortgesetzt werden?«
Maharshi: »Bis man damit Erfolg hat und die Yoga-Befreiung beständig geworden ist. Erfolg zeugt Erfolg. Ist eine Ablenkung überwunden, überwindet man die nächste usw., bis sie schließlich alle überwunden sind. Es ist, wie wenn man eine feindliche Festung erobert, indem man die Feinde niederstreckt, einen nach dem anderen, sowie sie herauskommen.«
F.: »Was ist das Ziel dieses Prozesses?«
B.: »Das Wirkliche zu verwirklichen.«
F.: »Was ist die Natur der Wirklichkeit?«
B.: » a) Sein ohne Anfang und Ende – ewig
b) Sein überall, endlos, grenzenlos
c) Sein, das allen Formen, allen Veränderungen, allen Kräften, aller Materie und allem Geist (spirit) zugrunde liegt. Die Vielfalt der Erscheinungen verändert sich und vergeht (phenomena), während das Eine (noumenon) immer bleibt .
d) Das Eine ersetzt die Dreiheiten wie von Wissendem, Wissen und Gewusstem. Die Dreiheiten sind nur Erscheinungen in Raum und Zeit, während die Wirklichkeit jenseits und hinter ihnen liegt. Sie sind wie eine Luftspiegelung, die über der Wirklichkeit liegt, das Ergebnis von Täuschung.«
F.: »Wenn auch das Ich eine Illusion ist, wer ist es dann, der diese Illusion abstreift?«
B.: »Das Ich wirft die Illusion des Ich ab und bleibt dennoch das Ich. Das ist das Paradoxe an der Selbstverwirklichung. Der Verwirklichte sieht darin jedoch keinen Widerspruch. Denke an bhakti (die Gottesverehrung). Ich nähere mich Iswara und bete, in Ihm aufzugehen. Dann übergebe ich mich im Glauben und durch Konzentration. Was bleibt danach übrig? Anstelle des ursprünglichen Ich hinterlässt die völlige Selbsthingabe etwas, das Gott ist, in dem das Ich verloren gegangen ist. Dies ist die höchste Form von Verehrung (parabhakti) oder Hingabe (prapatti) und der Gipfel der Entsagung (vairagya).
Du magst dies und jenes von ›deinem‹ Besitz aufgeben, aber wenn du stattdessen das Ich und Mein aufgibst, ist damit alles auf einmal aufgegeben und der Same des Besitztums ist zerstört. Auf diese Weise ist das Übel im Keim erstickt. Aber man muss große Losgelöstheit (vairagya) haben, um das zu tun. Das Verlangen danach muss so groß sein wie das eines Menschen, den man unter Wasser hält, an die Oberfläche zu kommen und zu atmen.«
F.: »Kann dieses Problem nicht mithilfe eines Meisters oder eines Ishta Devata (verehrte Gottheit) verringert werden? Können sie uns nicht die Kraft geben, dass wir unser Selbst sehen wie es ist, und uns zur Selbstverwirklichung führen, indem sie uns in sich selbst verwandeln?«
M.: »Der Ishta Devata und der Guru sind Hilfen – machtvolle Hilfen auf diesem Weg. Sollen sie aber wirken, ist auch deine Anstrengung nötig. Deine Anstrengung ist eine absolute Notwendigkeit. Du musst die Sonne sehen. Kann denn eine Brille oder die Sonne für dich sehen? Du selbst musst deine wahre Natur erkennen. Dazu braucht es keine große Hilfe!«
D.: »Wie verhalten sich mein freier Wille und die überwältigende Macht des Allmächtigen zueinander? a) Ist Gottes Allwissenheit mit dem freien Willen des Individuums vereinbar? b) Ist Gottes Allmacht mit dem freien Willen des Individuums vereinbar? c) Sind die Naturgesetze mit Gottes freiem Willen vereinbar?«
B.: »Ja. Der freie Wille des Individuums ist die Gegenwart, wie sie der begrenzten Fähigkeit seiner Einsicht und seines Wollens erscheint. Dasselbe Individuum erkennt, dass seine vergangenen Handlungen in den Ablauf von Gesetzen oder Regeln fallen, wobei sein eigener freier Wille eines der Glieder dieser Gesetzmäßigkeiten war. Es erkennt, dass die Allmacht und Allwissenheit Gottes durch seinen eigenen freien Willen gehandelt hat und folgert daraus, dass sich das Ego nach den Erscheinungsformen richten muss. Die Naturgesetze sind Manifestationen von Gottes Willen und sind als solche festgelegt.«
F: »Hat das Studium der Wissenschaften wie der Psychologie, Physiologie, Philosophie usw. einen Nutzen für die Kunst der Yoga-Befreiung und das intuitive Verstehen der Einheit des Wirklichen?«
B: »Nur begrenzt. Fürs Yoga ist etwas theoretisches Wissen nötig, das man sich aus Büchern holen kann. Aber was wirklich notwendig ist, ist die praktische Anwendung. Das persönliche Beispiel, der persönliche Kontakt und die persönliche Anleitung sind die besten Hilfen. Was das intuitive Verstehen betrifft kann ein Mensch sich zwar mühsam von der Wahrheit, die man durch Intuition erfassen muss, von ihrer Funktion und Natur intellektuell überzeugen, aber die wirkliche Intuition gleicht eher einem Empfinden und benötigt Praxis und persönlichen Kontakt. Nur aus Büchern zu lernen nützt wenig. Nach der Verwirklichung ist alle intellektuelle Fracht ein nutzloser Ballast, den man über Bord wirft. Es ist unumgänglich und natürlich, das Ego über Bord zu werfen.«
F.: »Wie unterscheidet sich der Traum vom Wachzustand?«
M.: »Im Traum nimmt man verschiedene Körper an, die in diesen Körper zurückkehren, wenn man von Sinneswahrnehmungen träumt. «
F.: »Was ist Glück? Ist es im atman oder im Objekt zu finden oder im Kontakt zwischen Subjekt und Objekt? Wir finden in unseren Angelegenheiten kein Glück. Wann entsteht Glück?«
M.: »Wenn wir in Berührung mit etwas Angenehmem kommen oder es uns in Erinnerung rufen und wenn wir von Unangenehmem oder von Erinnerungen daran frei sind, dann nennen wir das Glück. Solches Glück ist relativ und sollte besser ›Vergnügen‹ genannt werden. Der Mensch wünscht sich aber völliges und dauerhaftes Glück. Das ist nicht in den Objekten zu finden, sondern im Absoluten. Es ist Friede, der frei von Schmerz und Vergnügen ist. Es ist ein neutraler Zustand.«
F.: »In welchem Sinn ist Glück unsere wahre Natur?«
M.: »Vollkommenes Glück ist Brahman. Vollkommener Friede ist der Friede des Selbst. Das Selbst allein existiert und ist bewusst. Man kommt sowohl durch metaphysische Überlegungen als auch durch bhakti marga (den Weg der Hingabe) zum gleichen Ergebnis.
Wir bitten Gott um Seligkeit und erlangen sie durch Seine Gnade. Derjenige, der Seligkeit geben kann, muss selbst Seligkeit und Unendlichkeit sein. Deshalb ist Iswara der persönliche Gott, unendliche Macht und Seligkeit. Brahman ist unpersönliche und absolute Seligkeit. Die endlichen Einzelwesen, die ihre Quelle von Brahman und danach von Iswara ableiten, sind in ihrer spirituellen Natur nur Seligkeit. Biologisch gesehen funktioniert ein Organismus, weil seine Funktionen Freude machen. Es ist Freude, die uns wachsen lässt. Nahrung, Körperbetätigung, Ruhe und Geselligkeit bereiten Freude. Vielleicht besteht die Philosophie oder Metaphysik der Freude darin, dass wir von Natur aus ursprünglich eins sind, vollkommen und glücklich. Nehmen wir das einmal als wahrscheinlich an. Dann entsteht die Schöpfung durch das Auseinanderbrechen der ganzen Gottheit in Gott und Natur (maya oder prakriti). Diese maya ist von zweifacher Art: (para) – die erhaltende Substanz und (apara) – die fünf Elemente, Geist, Intellekt und das Ego (achtfach).
Die Vollkommenheit des Egos zerbricht plötzlich an einem Punkt und man spürt ein Verlangen, das zu einem Wunsch wird, etwas zu bekommen oder zu tun. Wenn man das Gewünschte erhalten hat und damit das Verlangen gestillt ist, ist das Ego glücklich und die ursprüngliche Vollkommenheit ist wiederhergestellt. Deshalb kann man sagen, dass das Glück unser natürlicher Zustand oder unsere Natur ist. Freude und Leid sind relativ und beziehen sich auf unseren begrenzten Zustand, der durch die Befriedigung von Wünschen aufrecht erhalten wird. Wenn man diesen Vorgängen Einhalt gebietet und die Seele in Brahman eingeht, dessen Natur vollkommener Friede ist, hört die Seele auf, vergängliche Freude zu empfinden und genießt den vollkommenen Frieden, die höchste Seligkeit. Deshalb ist die Selbstverwirklichung Seligkeit. Sie bedeutet, das Selbst als grenzenloses Auge (jnana dristi) zu verwirklichen und nicht etwa Hellsehen. Sie ist die höchste Selbsthingabe. Samsara (der Zyklus der Welt) dagegen ist Leid.«
F.: »Warum ist dann samsara – die endliche Schöpfung und Manifestation – so leidvoll und böse?«
M.: »Das ist Gottes Wille.«
F.: »Warum will es Gott so?«
M.: »Das ist unbegreiflich. Man kann dieser Kraft keinen persönlichen Beweggrund unterstellen – dem einen unendlichen, allwissenden und allmächtigen Sein kann kein Wollen und kein Ziel zugeschrieben werden. Gott bleibt von den Handlungen, die in Seiner Gegenwart geschehen, unberührt. Nimm den Vergleich von der Sonne und dem, was in der Welt geschieht. Es hat keinen Sinn, dem Einen, bevor es zu dem Vielen wurde, Verantwortung und einen Beweggrund zuzuschreiben. Aber den Lauf der Dinge als Gottes Wille zu bezeichnen, ist eine gute Lösung für das Problem des freien Willens (vexata quaestio). Ist der Geist rastlos infolge eines Gefühls der Unvollkommenheit und der Unzufriedenheit mit dem, was uns zustößt oder was wir getan oder unterlassen haben, dann ist es klug, das Gefühl der Verantwortung und des freien Willens fallen zu lassen, indem wir uns als ein vom Allwissenden und Allmächtigen bestimmtes Werkzeug betrachten, und zu tun und zu leiden, wie es Ihm gefällt. Er trägt alle Last und gibt uns Frieden.«



Sonntag, 25. November 2012

Talk 27

F.: Wie übt man das?
M.: »Untersucht man die vergängliche Natur äußerer Dinge, so führt das zu Leidenschaftslosigkeit (vairagya). Deshalb ist die Ergründung (vichara) der erste und wichtigste Schritt. Wenn vichara von selbst weitergeht, folgt daraus, dass Wohlstand, Berühmtheit, Bequemlichkeit, Vergnügen usw. gering geschätzt werden. Der Ich-Gedanke wird für die Untersuchung klarer. Der Ursprung des Ich ist das Herzen – das ist das endgültige Ziel.
Liegt jedoch einem Suchenden die nach innen gerichtete analytische Methode des Weges der Selbstergründung (vichara marga) nicht, dann muss er Hingabe (bhakti) an ein Ideal entwickeln. Sie kann Gott, dem Guru, der Menschheit im Allgemeinen, ethischen Gesetzen oder sogar dem Ideal der Schönheit gelten. Wenn ein solches Ideal vom Individuum Besitz ergreift, werden andere Bindungen schwächer und es entwickelt sich Leidenschaftslosigkeit (vairagya). Gleichzeitig wird die Verbundenheit mit dem Gegenstand der Verehrung immer stärker, bis sie ihn völlig beherrscht. Mit ihr wächst unmerklich die Konzentration (ekagrata), mit oder ohne Visionen und direkte Hilfen.
Falls dem Suchenden weder die Ergründung noch die Hingabe liegt, kann er es mit dem natürlichen Beruhigungsmittel der Atemkontrolle (pranayama) versuchen. Sie ist als der Yoga-Weg bekannt. Ist das Leben eines Menschen bedroht, dreht sich sein ganze Interesse um das Eine, es zu retten. Wird der Atem angehalten, dann kann es sich der Geist nicht leisten, zu seinen geliebten äußeren Objekten zu springen, und er tut es auch nicht. Deshalb ist der Geist still, solange man den Atem anhält. Weil sich die ganze Aufmerksamkeit auf den Atem oder seine Regulierung richtet, werden die anderen Interessen aufgegeben. Leidenschaften werden bekanntlich von einem unregelmäßigen Atem begleitet, während Ruhe und Glück ihn langsam und regelmäßig strömen lassen. Übergroße Freude ist tatsächlich so schmerzhaft wie übergroße Qual, und beide werden von einem gestörten Atem begleitet. Wahrer Friede ist Glück. Vergnügen bringen kein Glück. Der Geist wird durch diese Übung gefestigt und feiner, so wie eine Rasierklinge, die über dem Lederriemen abgezogen wird, scharf wird. Er ist dann fähiger, innere und äußere Probleme zu lösen.
Wenn ein Suchender für die ersten beiden Methoden keine Veranlagung hat und die dritte Methode durch bestimmte Umständen, wie z.B. wegen seines Alters, nicht ausüben kann, dann muss er es mit karma marga versuchen, dem Weg guter Taten, wie etwa der soziale Dienst. Dadurch wird sein edlerer Instinkt entwickelt und er bezieht unpersönliches Glück aus seinem Tun. Sein Ego wird weniger bestimmend und seine gute Seite kann sich entwickeln. So wird er allmählich fähig, einen der drei früher genannten Wege einzuschlagen. Seine Intuition kann sich schon allein durch diese Methode entwickeln.«
F.: »Kann eine Reihe von Gedanken oder Fragen Selbsthypnose bewirken? Sollte man sich nicht auf einen einzigen Punkt beschränken, um das nicht analysierbare, grundlegende, wage wahrgenommene und schwer fassbare Ich zu analysieren?«
M.: »Ja. Es ist tatsächlich so, als ob man in eine Leere oder auf einen glitzernden Kristall oder in ein reines Licht starren würde.«
F.: »Kann man den Geist überhaupt auf diesen Punkt gerichtet halten und wie?«
M.: »Wird der Geist abgelenkt, frage sofort: »Wer hat diese ablenkenden Gedanken?« Das bringt dich sofort zum Ich-Punkt zurück.«
F.: »Wie lange kann der Geist im Herzen verweilen oder gehalten werden?«
M.: »Es wird mit der Praxis länger.«
F.: »Was geschieht nach dem Ablauf dieser Zeitspanne?«
M.: »Der Geist kehrt zu seinem jetzigen normalen Zustand zurück. Die Einheit im Herzen wird durch die Vielfalt der wahrgenommenen Erscheinungen ersetzt. Das nennt man den nach außen gehenden Geist. Der Geist, der ins Herz strömt, nennt man den ruhenden Geist.«
F.: »Ist das alles lediglich ein verstandesmäßiger Prozess oder gehört er überwiegend dem Empfinden an?«
M.: »Letzteres.«
F.: »Wodurch hören alle Gedanken auf, wenn der Geist im Herzen ist?«
M.: »Durch Willenskraft, durch einen starken Glauben an die Wahrheit dessen, was der Meister lehrt.«
F.: »Und was wird durch diesen Vorgang gewonnen?«
M.: a) Die Unterwerfung des Willens und damit die Entwicklung von Konzentration.
b) Die Unterwerfung der Leidenschaften und damit die Entwicklung von Leidenschaftslosigkeit.
c) Die zunehmende Praxis der Tugend und damit das Empfinden von der Gleichheit aller (samatva).«
F.: »Warum sollte man diese Selbsthypnose ausüben, indem man an den undenkbaren Punkt denkt? Warum sollte man nicht andere Methoden üben, wie etwa ins Licht zu schauen, den Atem anzuhalten, Musik zu hören oder auf innere Klänge zu lauschen, heilige Silben zu wiederholen (pranava, i.e. OM?) oder andere Mantren?«
M.: »Weil das Starren ins Licht den Geist nur benommen macht und den Willen nur für den Augenblick lähmt, aber keinen dauerhaften Vorteil bringt. Atemkontrolle betäubt nur während der Übung den Willen. Das Lauschen auf innere Töne hat eine ähnliche Wirkung - außer das Mantra ist heilig und sichert die Hilfe einer höheren Kraft zu, die die Gedanken reinigt und erhebt.«

Talk 26

F.: »Wie können wir die Natur des Geistes entdecken, d.h. seine letzte Ursache oder das Noumenon, von dem er eine Manifestation ist?«
M. : »Wenn man die Gedanken nach ihrer Wertigkeit anordnet, dann ist der Ich-Gedanke von allen der wichtigste. Die Vorstellung oder der Gedanke von der Persönlichkeit ist auch die Wurzel oder der Stamm von allen anderen Gedanken, da jede Vorstellung und jeder Gedanke nur als der Gedanke einer Person auftaucht und nicht unabhängig vom Ego existiert. Es ist also das Ego, das denkt. Die zweite und die dritte Person erscheinen nur der ersten Person. Deshalb tauchen sie erst nach der ersten Person auf, sodass alle drei Personen zusammen aufzutauchen und zu verschwinden scheinen. Spüre also die letzte Ursache des Ich oder der Persönlichkeit auf. Der Ich-Gedanke entsteht in einem verkörperten Ego und muss sich auf einen Körper oder Organismus beziehen. Hat es einen Sitz im Körper oder eine besondere Beziehung zu einer speziellen Körperstelle wie die Sprache und die Sinneswahrnehmung, die ihren Sitz im Gehirn haben? Hat das Ich ebenso ein Zentrum im Gehirn, im Blut oder in den Eingeweiden? Das Gedankenleben spielt sich im Gehirn und im Rückenmark ab, welche durch den Blutkreislauf, der durch sie strömt, ernährt werden, wobei Nahrung und Sauerstoff in der richtigen Konzentration in Nervensubstanz umgesetzt werden. Folglich ist das vegetative Leben mit Kreislauf, Atmung und Ernährung usw. oder die vitale Kraft die Essenz oder das Innerste des Organismus bzw. wohnt in ihm. Somit kann der Geist als eine Manifestation der vitalen Kraft angesehen werden, deren Sitz im Herzen wahrgenommen werden kann.«
F.: »Um auf die Kunst, den Geist zu beseitigen und statt seiner Intuition zu entwickeln zu kommen: Handelt es sich dabei um zwei verschiedene Stadien mit einer möglicherweise neutralen Grundlage, die weder Geist noch Intuition ist? Oder bedeutet die Abwesenheit mentaler Aktivitäten automatisch Selbstverwirklichung?«
M.: »Für den Übenden (abhyasi) gibt es zwei verschiedene Stadien. Es gibt eine neutrale Grundlage von Tiefschlaf, Koma, Bewusstlosigkeit, Wahnsinn usw. Entweder fehlt hier die geistige Aktivität oder das Bewusstsein des Selbst ist nicht vorhanden.«
F.: »Die wichtigste Frage zuerst: Wie soll der Geist ausgelöscht oder das relative Bewusstsein überwunden werden?«
M.: »Der Geist ist von Natur aus rastlos. Beginne, ihn von seiner Rastlosigkeit zu befreien. Gib ihm Frieden. Befreie ihn von Ablenkungen. Erziehe ihn dazu, nach innen zu blicken. Lass dies zur Gewohnheit werden. Das tut man, indem man die äußere Welt ignoriert und die Hindernisse, die dem Frieden des Geistes im Wege stehen, beseitigt.«
F.: »Wie beseitigt man die Rastlosigkeit des Geistes?«
M.: »Äußere Kontakte – Kontakte mit Objekten, die von ihm verschieden sind – machen den Geist rastlos. Als erstes sollte man dem Nicht-Selbst sein Interesse entziehen (vairagya). Dann folgen die Gewöhnung an die Innenschau und Konzentration. Deren Merkmal ist die Kontrolle über die äußeren Sinne und die innere Fähigkeiten wie sama, dama usw. Sie enden in samadhi, dem nicht abgelenkten Geist.«

Samstag, 24. November 2012

Talk 25

Bei einem früheren Anlass fragte B.V. Narasimha Swami, der Autor von ›Self-Realization‹: »Wer bin ich? Wie kann man das herausfinden?«
M.: »Stelle dir selbst die Frage. Der Körper (annamaya kosa) und seine Funktionen sind nicht ›ich‹. Gehe tiefer. Der Geist (manomaya kosa) und seine Funktionen sind nicht ›ich‹. Der nächste Schritt führt zu der Frage: ›Woher kommen überhaupt die Gedanken?‹ Die Gedanken sind unwillkürlich, oberflächlich oder analytisch. Sie arbeiten im Verstand. Wer aber ist sich ihrer bewusst? Das Vorhandensein von Gedanken, deren klare Begriffe und Wirkungsweisen zeigen sich dem Individuum. Diese Analyse führt also zu der Schlussfolgerung, dass die Individualität der Person als Empfänger des Vorhandenseins von Gedanken und Gedankenfolgen wirkt. Diese Individualität ist das Ego oder Ich, wie die Leute es nennen. Vijnanamaya kosa (der Intellekt) ist nur die Hülle des Ich und nicht das Ich selbst.
Forscht man weiter, dann stellt sich die Frage: ›Wer ist dieses Ich? Woher kommt es?‹ Das Ich war im Tiefschlaf nicht bewusst. Wenn es auftaucht, wechselt der Tiefschlaf zum Traum oder zum Wachzustand über. Aber im Augenblick träume ich nicht. Wer bin ich jetzt, im Wachzustand? Wenn das Ich aus dem Schlaf hervorgeht, dann war es zuvor von Unwissenheit bedeckt. Solch ein unwissendes Ich kann nicht das Ich sein, das die Schriften und die Weisen meinen. Ich bin selbst jenseits des Tiefschlafs. Mein wahres Ich muss hier und jetzt sein und auch was ich im Tiefschlaf und im Traum gewesen bin, unberührt von den Eigenschaften dieser Zustände. Ich muss deshalb das eigenschaftslose Substrat sein, auf das diese drei Zustände basieren (und das auch anandamaya kosa überschreitet). Kurz gesagt, das wahre Ich ist jenseits der fünf Hüllen1. Das, was zurückbleibt, nachdem man alles, was Nicht-Selbst ist, verworfen hat, ist das Selbst, Sat-Chit-Ananda
F.: »Wie kann man dieses Selbst kennen oder verwirklichen?«
M.: »Überschreite die jetzige relative Ebene. Ein getrenntes Sein (Ich) taucht auf, um etwas von sich selbst Getrenntes (das Nicht-Selbst) zu erkennen. Das heißt, das Subjekt ist sich des Objektes bewusst. Der Seher ist drik (das Subjekt), das Gesehene ist drisya (das Objekt).
Es muss eine Einheit geben, die beidem zugrunde liegt und sich als Ego erhebt. Dieses Ich ist seinem Wesen nach chit (Intelligenz, Bewusstsein). Das unbewusste Objekt (achit) ist nur eine Negation von chit. Deshalb gehört die zugrunde liegende Essenz dem Subjekt an und nicht dem Objekt. Sucht man den Seher (drik), bis alles Gesehene (drisya) verschwunden ist, wird der Seher immer subtiler, bis nur noch der vollkommene Seher überlebt. Dieser Prozess heißt drisya vilaya, das Verschwinden der objektiven Welt.«
F.: »Warum müssen die Objekte (drishya) beseitigt werden? Kann man die Wahrheit nicht verwirklichen, auch wenn das Gesehene bleibt, wie es ist?«
M.: »Nein. Die Beseitigung von drisya bedeutet die Beseitigung der getrennten Wesenheiten von Subjekt und Objekt. Das Objekt ist unwirklich. Alles Gesehene (das Ego inbegriffen) ist das Objekt. Vernichtet man das Unwirkliche, dann überlebt das Wirkliche. Wenn man ein Seil für eine Schlange hält, genügt es, die falsche Wahrnehmung von einer Schlange zu beseitigen, damit die Wahrheit ans Licht kommt. Ohne solch eine Beseitigung wird sich die Wahrheit nicht zeigen.«
F.: »Wann und wie kann man das Verschwinden der objektiven Welt (drisya vilaya) bewirken?«
M.: »Es ist erreicht, wenn das relative Subjekt, nämlich der Geist, beseitigt wird. Der Geist ist der Schöpfer von Subjekt und Objekt und die Ursache der dualistischen Vorstellung. Deshalb ist er die Ursache für die falsche Wahrnehmung eines begrenzten Selbst und für das Elend, das die Folge eines solchen Irrtums ist.«
F.: »Was ist dieser Geist?«
M.: »Der Geist ist eine Form der Manifestation des Lebens. Ein Holzklotz oder eine komplizierte Maschine nennt man nicht Geist. Die vitale Kraft manifestiert sich als Lebensaktivität und auch als das bewusste Phänomen, das wir Geist nennen.«
F.: »Wie ist die Beziehung zwischen Geist und Objekt? Tritt der Geist mit etwas in Kontakt, das von ihm verschieden ist, wie etwa die Welt?«
M.: »Die Welt wird im Wachzustand und im Traum empfunden bzw. ist das Objekt der Wahrnehmung und des Denkens, die beide mentale Aktivitäten sind. Gäbe es keine solchen Aktivitäten wie Wach- und Traumgedanken, dann gäbe es auch keine Wahrnehmung und man würde nicht folgern, dass es eine Welt gibt. Im Tiefschlaf gibt es keine solche Aktivität. Somit existieren die Objekte und die Welt für uns währenddessen nicht. Deshalb kann die Wirklichkeit der Welt nur vom Ego erschaffen worden sein, indem es sich aus dem Schlaf erhebt. Diese Wirklichkeit wird verschlungen oder verschwindet wieder, wenn die Seele ihre Natur im Tiefschlaf wiedergewinnt. Das Auftauchen und Verschwinden der Welt ist ein Vorgang wie bei der Spinne, die ein hauchdünnes Netz spinnt und es dann wieder in sich hineinzieht. Unsere Spinne hier liegt den drei Zuständen von Wachen, Träumen und Tiefschlaf zugrunde. Sie wird in Bezug auf die Person Atman (Selbst) genannt, während sie in Bezug auf die Welt (von der man glaubt, dass sie von der Sonne entspringt) Brahman (höchster Geist) genannt wird. Das Selbst im Menschen ist dasselbe Selbst wie das in der Sonne. (Sa yaschayam purushe yaschasavaditye sa ekah: Dies hier in der Person und dies dort in der Sonne sind eins.)
Solange das Selbst oder der Geist nicht manifest und inaktiv ist, gibt es keine Zweiheit im relativen Bereich wie Subjekt und Objekt, drik und drisya. Wird die Ergründung bis in die letzte Ursache der Manifestation des Geistes vorangetrieben, so stellt sich heraus, dass der Geist nur eine Manifestation des Wirklichen ist, das man Atman oder Brahman nennt. Den Geist nennt man sukshma sarira oder Gedankenkörper, die individuelle Seele nennt man jiva. Der jiva ist die Essenz der gewachsenen Individualität, die Persönlichkeit. Denken und Geist gelten als ihre Entwicklungsstufe oder einer der Wege, in der sich der jiva manifestiert. Das vegetative Leben ist eine frühere Entwicklungsstufe solch einer Manifestation. Der Geist bezieht sich immer auf etwas oder wirkt auf etwas ein, das nicht-mental, also materiell ist, aber niemals auf sich. Deshalb existieren Geist und Materie miteinander.«
1Nach der indischen Auffassung gibt es drei Körper: den grobstofflichen der äußeren Erscheinung, den subtilen als Träger der Eigenschaften und der geistigen Tätigkeiten und den ursächlichen im Tiefschlaf. Eine andere Aufteilung spricht von fünf Hüllen (koshas). Sie sind: die physische Hülle der äußeren Erscheinung (annnamaya kosha), die mentale Hülle aus wahllosem Wahrnehmen und Empfinden (manomaya kosha), die Hülle der Lebenskraft und der Vitalfunktionen (pranamaya kosha), die Hülle des Wissens und der Erfahrung (vijnanamaya kosa) sowie die Hülle der Seligkeit, wie im Tiefschlaf (anandamaya kosa).

Dienstag, 20. November 2012

Talk 24, 4.2.1935

Frau Piggott: »Warum trinkst du Milch, isst aber keine Eier?«
M.: »Die Kühe geben mehr Milch, als sie für ihre Kälber brauchen und sind froh, wenn man sie milkt.«
F.: »Aber die Henne kann nicht alle ihre Eier ausbrüten.«
M.: »Aber sie enthalten potenzielles Leben.«
F.: »Manchmal hören die Gedanken plötzlich auf und ein ›Ich-Ich‹ erhebt sich ebenso plötzlich und bleibt bestehen. Es ist nur im Empfindung, nicht im Denken. Kann das richtig sein?«
B.: »Ja, das ist ganz richtig. Die Gedanken müssen aufhören und der Verstand muss verschwinden, damit das ›Ich-Ich‹ sich erheben und empfunden werden kann. Das Empfinden ist der Hauptfaktor, nicht das Verstehen.«
F.: »Zudem geschieht es nicht im Kopf, sondern auf der rechten Seite der Brust.«
B.: »So sollte es sein, denn dort liegt das Herz.«
F.: »Wenn ich mich dann nach außen wende, verschwindet es. Was soll ich tun?«
B.: »Halte daran fest.«
F.: »Wenn man sich mit diesem Erinnern beschäftigt, handelt man währenddessen immer richtig?«
M.: »So sollte es sein. Doch solch ein Mensch kümmert sich nicht darum, ob sein Handeln richtig oder falsch ist. Sein Tun ist Gottes Tun und muss deshalb richtig sein.«
F.: »Warum muss er sich dann noch bei der Ernährung einschränken?«
M.: »Deine gegenwärtige Erfahrung wird von der Atmosphäre hier beeinflusst. Kannst du dieselbe Erfahrung auch ohne diese Atmosphäre machen? Die Erfahrung ist sprunghaft. Bis sie beständig wird, muss man üben. Einschränkungen bei der Ernährung tragen dazu bei, dass sich solch eine Erfahrung wiederholt. Ist man einmal in der Wahrheit gefestigt, dann fallen die Einschränkungen von selbst weg. Außerdem beeinflusst die Nahrung den Geist, und er muss rein bleiben.«
Frau Piggott erzählte später einem Schüler: »Ich spüre seine Ausstrahlung viel intensiver und kann das Ich-Zentrum leichter erreichen als zuvor.«

Samstag, 10. November 2012

Talk 23, 2. 2.1935

Herr Evans-Wentz fragte am folgenden Tag: »Kann man mehr als einen spirituellen Meister haben?«
M.: »Wer ist ein Meister? Letzten Endes ist er das Selbst. Entsprechend der Entwicklung des Geistes manifestiert sich das Selbst als der äußere Meister. Der berühmte Heilige Avadhuta [Dattatreya] des alten Indiens sagte, er habe mehr als 24 Meister gehabt. Der Meister ist einer, von dem man etwas lernt. Der Guru kann auch etwas Unbelebtes sein, wie im Fall von Avadhuta. Gott, Guru und das Selbst sind dasselbe.
Ein spirituell gesinnter Mensch glaubt, dass Gott alles durchdringt und hält ihn für seinen Guru. Später bringt ihn Gott mit einem persönlichen Guru in Kontakt, und er bedeutet dem Menschen ein und alles. Zuletzt empfindet derselbe Mensch durch die Gnade des Meisters, dass sein Selbst nichts anderes als die Wirklichkeit ist. So erfährt er, dass das Selbst der Meister ist.«
F.: »Weiht Sri Bhagavan Schüler ein?«
Der Maharshi schwieg. Da nahm es einer der Schüler auf sich zu antworten: »Der Maharshi sieht niemand außerhalb seiner selbst. Deshalb gibt es für ihn keine Schüler. Seine Gnade durchdringt alles, und er übermittelt sie jedem, der sie verdient, im Schweigen.«
F.: »Wie trägt die Kenntnis der heiligen Schriften zur Selbstverwirklichung bei?«
Antwort: »Nur insofern, dass sie die Neigung des Geistes zum Spirituellen fördert.«
F.: »Und inwieweit fördert der Verstand die Selbstverwirklichung?«
Antwort: »Nur insoweit, als er bewirkt, dass man den Verstand ins Ego versenkt und das Ego ins Selbst.«

Talk 22

Frau Piggot kam aus Madras zu einem weiteren Besuch und stellte Fragen über Ernährung.
F.: »Welche Ernährung eignet sich für jemanden, der sich spirituellen Übungen widmet (sadhaka)?«
M.: »Sattwische Nahrung in mäßigen Mengen.«
F.: »Welche Nahrung ist sattwisch
M.: »Brot, Obst, Gemüse, Milch und solche Dinge.«
F.: »Die Menschen in Nordindien essen Fisch. Ist das erlaubt?«
Der Maharshi antwortete nicht.
F.: »Wir Europäer sind an eine bestimmte Ernährung gewohnt. Eine Veränderung in der Nahrung greift die Gesundheit an und schwächt den Geist. Muss man nicht die physische Gesundheit aufrecht erhalten?«
M.: »Unbedingt. Je schwächer der Körper ist, desto stärker wird der Geist.«
F.: »Ohne unsere gewohnte Nahrung leidet unsere Gesundheit und der Geist verliert an Stärke.«
M.: »Was meinst du mit ›Stärke des Geistes‹?«
F.: »Die Kraft, weltliche Bindungen zu beseitigen.«
M.: »Die Qualität der Nahrung beeinflusst den Geist. Der Geist ernährt sich von der aufgenommenen Nahrung.«
F.: »Tatsächlich! Aber wie können sich die Europäer an rein sattwische Nahrung gewöhnen?«
Der Maharshi wandte sich an Herrn Evans-Wentz und fragte: »Du hast unser Essen gegessen. Bereitet es dir irgendwelche Schwierigkeiten?«
E.W.: »Nein. Ich bin daran gewöhnt.«
F.: »Was ist mit jenen, die nicht daran gewöhnt sind?«
M.: »Gewöhnung ist nur eine Anpassung an die Umgebung. Es ist der Geist, der zählt. Tatsache ist, dass der Geist darauf trainiert wurde, bestimmte Nahrungsmittel gut und schmackhaft zu finden. Der nötige Nährwert ist in vegetarischen wie auch in nicht-vegetarischen Nahrungsmitteln enthalten. Aber der Geist verlangt nach der Nahrung, an die er gewöhnt ist und die er für schmackhaft hält.«
F.: »Gelten diese Einschränkungen auch für den Verwirklichten?«
M.: »Nein. Er ist gefestigt und wird von der Nahrung, die er zu sich nimmt, nicht beeinflusst.«
F.: »Ist die Zubereitung von fleischlicher Nahrung nicht Mord?«
M.: »Gewaltlosigkeit (ahimsa) steht für den Yogi an oberster Stelle.«
F.: »Auch Pflanzen haben ein Leben.«
M.: »Auch die Bretter, auf denen du sitzt.«
F.: »Sollten wir uns allmählich an vegetarische Kost gewöhnen?«
M.: »Ja, das ist der richtige Weg.«