Samstag, 24. November 2012

Talk 25

Bei einem früheren Anlass fragte B.V. Narasimha Swami, der Autor von ›Self-Realization‹: »Wer bin ich? Wie kann man das herausfinden?«
M.: »Stelle dir selbst die Frage. Der Körper (annamaya kosa) und seine Funktionen sind nicht ›ich‹. Gehe tiefer. Der Geist (manomaya kosa) und seine Funktionen sind nicht ›ich‹. Der nächste Schritt führt zu der Frage: ›Woher kommen überhaupt die Gedanken?‹ Die Gedanken sind unwillkürlich, oberflächlich oder analytisch. Sie arbeiten im Verstand. Wer aber ist sich ihrer bewusst? Das Vorhandensein von Gedanken, deren klare Begriffe und Wirkungsweisen zeigen sich dem Individuum. Diese Analyse führt also zu der Schlussfolgerung, dass die Individualität der Person als Empfänger des Vorhandenseins von Gedanken und Gedankenfolgen wirkt. Diese Individualität ist das Ego oder Ich, wie die Leute es nennen. Vijnanamaya kosa (der Intellekt) ist nur die Hülle des Ich und nicht das Ich selbst.
Forscht man weiter, dann stellt sich die Frage: ›Wer ist dieses Ich? Woher kommt es?‹ Das Ich war im Tiefschlaf nicht bewusst. Wenn es auftaucht, wechselt der Tiefschlaf zum Traum oder zum Wachzustand über. Aber im Augenblick träume ich nicht. Wer bin ich jetzt, im Wachzustand? Wenn das Ich aus dem Schlaf hervorgeht, dann war es zuvor von Unwissenheit bedeckt. Solch ein unwissendes Ich kann nicht das Ich sein, das die Schriften und die Weisen meinen. Ich bin selbst jenseits des Tiefschlafs. Mein wahres Ich muss hier und jetzt sein und auch was ich im Tiefschlaf und im Traum gewesen bin, unberührt von den Eigenschaften dieser Zustände. Ich muss deshalb das eigenschaftslose Substrat sein, auf das diese drei Zustände basieren (und das auch anandamaya kosa überschreitet). Kurz gesagt, das wahre Ich ist jenseits der fünf Hüllen1. Das, was zurückbleibt, nachdem man alles, was Nicht-Selbst ist, verworfen hat, ist das Selbst, Sat-Chit-Ananda
F.: »Wie kann man dieses Selbst kennen oder verwirklichen?«
M.: »Überschreite die jetzige relative Ebene. Ein getrenntes Sein (Ich) taucht auf, um etwas von sich selbst Getrenntes (das Nicht-Selbst) zu erkennen. Das heißt, das Subjekt ist sich des Objektes bewusst. Der Seher ist drik (das Subjekt), das Gesehene ist drisya (das Objekt).
Es muss eine Einheit geben, die beidem zugrunde liegt und sich als Ego erhebt. Dieses Ich ist seinem Wesen nach chit (Intelligenz, Bewusstsein). Das unbewusste Objekt (achit) ist nur eine Negation von chit. Deshalb gehört die zugrunde liegende Essenz dem Subjekt an und nicht dem Objekt. Sucht man den Seher (drik), bis alles Gesehene (drisya) verschwunden ist, wird der Seher immer subtiler, bis nur noch der vollkommene Seher überlebt. Dieser Prozess heißt drisya vilaya, das Verschwinden der objektiven Welt.«
F.: »Warum müssen die Objekte (drishya) beseitigt werden? Kann man die Wahrheit nicht verwirklichen, auch wenn das Gesehene bleibt, wie es ist?«
M.: »Nein. Die Beseitigung von drisya bedeutet die Beseitigung der getrennten Wesenheiten von Subjekt und Objekt. Das Objekt ist unwirklich. Alles Gesehene (das Ego inbegriffen) ist das Objekt. Vernichtet man das Unwirkliche, dann überlebt das Wirkliche. Wenn man ein Seil für eine Schlange hält, genügt es, die falsche Wahrnehmung von einer Schlange zu beseitigen, damit die Wahrheit ans Licht kommt. Ohne solch eine Beseitigung wird sich die Wahrheit nicht zeigen.«
F.: »Wann und wie kann man das Verschwinden der objektiven Welt (drisya vilaya) bewirken?«
M.: »Es ist erreicht, wenn das relative Subjekt, nämlich der Geist, beseitigt wird. Der Geist ist der Schöpfer von Subjekt und Objekt und die Ursache der dualistischen Vorstellung. Deshalb ist er die Ursache für die falsche Wahrnehmung eines begrenzten Selbst und für das Elend, das die Folge eines solchen Irrtums ist.«
F.: »Was ist dieser Geist?«
M.: »Der Geist ist eine Form der Manifestation des Lebens. Ein Holzklotz oder eine komplizierte Maschine nennt man nicht Geist. Die vitale Kraft manifestiert sich als Lebensaktivität und auch als das bewusste Phänomen, das wir Geist nennen.«
F.: »Wie ist die Beziehung zwischen Geist und Objekt? Tritt der Geist mit etwas in Kontakt, das von ihm verschieden ist, wie etwa die Welt?«
M.: »Die Welt wird im Wachzustand und im Traum empfunden bzw. ist das Objekt der Wahrnehmung und des Denkens, die beide mentale Aktivitäten sind. Gäbe es keine solchen Aktivitäten wie Wach- und Traumgedanken, dann gäbe es auch keine Wahrnehmung und man würde nicht folgern, dass es eine Welt gibt. Im Tiefschlaf gibt es keine solche Aktivität. Somit existieren die Objekte und die Welt für uns währenddessen nicht. Deshalb kann die Wirklichkeit der Welt nur vom Ego erschaffen worden sein, indem es sich aus dem Schlaf erhebt. Diese Wirklichkeit wird verschlungen oder verschwindet wieder, wenn die Seele ihre Natur im Tiefschlaf wiedergewinnt. Das Auftauchen und Verschwinden der Welt ist ein Vorgang wie bei der Spinne, die ein hauchdünnes Netz spinnt und es dann wieder in sich hineinzieht. Unsere Spinne hier liegt den drei Zuständen von Wachen, Träumen und Tiefschlaf zugrunde. Sie wird in Bezug auf die Person Atman (Selbst) genannt, während sie in Bezug auf die Welt (von der man glaubt, dass sie von der Sonne entspringt) Brahman (höchster Geist) genannt wird. Das Selbst im Menschen ist dasselbe Selbst wie das in der Sonne. (Sa yaschayam purushe yaschasavaditye sa ekah: Dies hier in der Person und dies dort in der Sonne sind eins.)
Solange das Selbst oder der Geist nicht manifest und inaktiv ist, gibt es keine Zweiheit im relativen Bereich wie Subjekt und Objekt, drik und drisya. Wird die Ergründung bis in die letzte Ursache der Manifestation des Geistes vorangetrieben, so stellt sich heraus, dass der Geist nur eine Manifestation des Wirklichen ist, das man Atman oder Brahman nennt. Den Geist nennt man sukshma sarira oder Gedankenkörper, die individuelle Seele nennt man jiva. Der jiva ist die Essenz der gewachsenen Individualität, die Persönlichkeit. Denken und Geist gelten als ihre Entwicklungsstufe oder einer der Wege, in der sich der jiva manifestiert. Das vegetative Leben ist eine frühere Entwicklungsstufe solch einer Manifestation. Der Geist bezieht sich immer auf etwas oder wirkt auf etwas ein, das nicht-mental, also materiell ist, aber niemals auf sich. Deshalb existieren Geist und Materie miteinander.«
1Nach der indischen Auffassung gibt es drei Körper: den grobstofflichen der äußeren Erscheinung, den subtilen als Träger der Eigenschaften und der geistigen Tätigkeiten und den ursächlichen im Tiefschlaf. Eine andere Aufteilung spricht von fünf Hüllen (koshas). Sie sind: die physische Hülle der äußeren Erscheinung (annnamaya kosha), die mentale Hülle aus wahllosem Wahrnehmen und Empfinden (manomaya kosha), die Hülle der Lebenskraft und der Vitalfunktionen (pranamaya kosha), die Hülle des Wissens und der Erfahrung (vijnanamaya kosa) sowie die Hülle der Seligkeit, wie im Tiefschlaf (anandamaya kosa).

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