F.:
»Worin besteht die wechselseitige Beziehung zwischen der Gedanken-
und der Atemkontrolle?«
M.:
»Intellektuelles Denken und Atmung, Kreislauf und sonstige
vegetative Tätigkeiten sind verschieden Aspekte desselben – des
individuellen Lebens. Beide hängen vom Leben ab – oder wohnen in
ihm, will man es bildlich ausdrücken. Von ihm stammen die
Persönlichkeit und andere Vorstellungen sowie die lebenswichtigen
Funktionen. Wird die Atmung oder eine andere Lebensfunktion gewaltsam
unterdrückt, dann wird damit auch das Denken unterdrückt. Wird das
Denken gewaltsam verlangsamt und an einem Punkt festgemacht, dann
verlangsamt sich auch die Lebensfunktion der Atmung, wird gleichmäßig
und beschränkt sich auf das absolut Nötigste, um das Leben aufrecht
zu erhalten. In beiden Fällen hört die ablenkende Vielfalt der
Gedanken vorübergehend auf. Die wechselseitige Beziehung zwischen
beidem macht sich auch auf andere Weise bemerkbar. Nimm zum Beispiel
den Lebenswillen. Er besteht aus Gedankenkraft. Er bewahrt und hält
das Leben aufrecht, auch wenn die anderen Lebensfunktionen bereits
nahezu erschöpft sind, und verzögert den Tod. Fehlt dieser
Lebenswille, wird das Sterben beschleunigt. Deshalb heißt es, dass
das Denken das Leben in den Körper trägt und von einem Körper in
den nächsten.«
F.:
»Gibt es Hilfsmittel für die Konzentration und das Loswerden von
Ablenkungen?«
B.:
»Im physischen Bereich müssen die Verdauungsorgane und die anderen
Organe frei von Reizung gehalten werden. Deshalb muss die Nahrung
nach Menge und Qualität geregelt werden. Man isst reizlose Nahrung
und vermeidet Chilli, ein Übermaß an Salz, Zwiebeln, Wein, Opium
usw. Vermeide Verstopfung, Schläfrigkeit und Erregung und alle
Nahrungsmittel, die das herbeiführen. Interessiere dich auf der
geistigen Ebene nur für eine Sache und konzentriere dich darauf.
Lass dich von diesem Interesse ganz in Anspruch nehmen und schließe
alles andere aus. Das ist Leidenschaftslosigkeit (vairagya)
und Konzentration. Du kannst dafür Gott oder ein Mantra wählen. Der
Geist wird gestärkt, um das Subtile zu erfassen und mit ihm zu
verschmelzen.«
F.:
»Ablenkungen kommen von Neigungen. Kann man sie loswerden?«
M.:
»Ja. Viele sind sie losgeworden, glaube mir! Sie haben es geschafft,
weil sie glaubten, dass sie es meistern würden. Vasanas
(Veranlagungen) können vernichtet werden. Es gelingt, indem man sich
auf das konzentriert, was frei von vasanas
und dennoch ihr Kern ist.«
F:
»Wie lange muss die Übung fortgesetzt werden?«
Maharshi:
»Bis man damit Erfolg hat und die Yoga-Befreiung beständig geworden
ist. Erfolg zeugt Erfolg. Ist eine Ablenkung überwunden, überwindet
man die nächste usw., bis sie schließlich alle überwunden sind. Es
ist, wie wenn man eine feindliche Festung erobert, indem man die
Feinde niederstreckt, einen nach dem anderen, sowie sie
herauskommen.«
F.:
»Was ist das Ziel dieses Prozesses?«
B.:
»Das Wirkliche zu verwirklichen.«
F.:
»Was ist die Natur der Wirklichkeit?«
B.:
» a) Sein ohne Anfang und Ende – ewig
b)
Sein überall, endlos, grenzenlos
c)
Sein, das allen Formen, allen Veränderungen, allen Kräften, aller
Materie und allem Geist (spirit) zugrunde liegt. Die Vielfalt der
Erscheinungen verändert sich und vergeht (phenomena), während das
Eine (noumenon) immer bleibt .
d)
Das Eine ersetzt die Dreiheiten wie von Wissendem, Wissen und
Gewusstem. Die Dreiheiten sind nur Erscheinungen in Raum und Zeit,
während die Wirklichkeit jenseits und hinter ihnen liegt. Sie sind
wie eine Luftspiegelung, die über der Wirklichkeit liegt, das
Ergebnis von Täuschung.«
F.:
»Wenn auch das Ich eine Illusion ist, wer ist es dann, der diese
Illusion abstreift?«
B.:
»Das Ich wirft die Illusion des Ich ab und bleibt dennoch das Ich.
Das ist das Paradoxe an der Selbstverwirklichung. Der Verwirklichte
sieht darin jedoch keinen Widerspruch. Denke an bhakti (die
Gottesverehrung). Ich nähere mich Iswara und bete, in Ihm
aufzugehen. Dann übergebe ich mich im Glauben und durch
Konzentration. Was bleibt danach übrig? Anstelle des ursprünglichen
Ich hinterlässt die völlige Selbsthingabe etwas, das Gott ist, in
dem das Ich verloren gegangen ist. Dies ist die höchste Form von
Verehrung (parabhakti) oder Hingabe (prapatti) und der
Gipfel der Entsagung (vairagya).
Du
magst dies und jenes von ›deinem‹ Besitz aufgeben, aber wenn du
stattdessen das Ich und Mein aufgibst, ist damit alles auf einmal
aufgegeben und der Same des Besitztums ist zerstört. Auf diese Weise
ist das Übel im Keim erstickt. Aber man muss große Losgelöstheit
(vairagya) haben, um das zu tun. Das Verlangen danach muss so
groß sein wie das eines Menschen, den man unter Wasser hält, an die
Oberfläche zu kommen und zu atmen.«
F.:
»Kann dieses Problem nicht mithilfe eines Meisters oder eines Ishta
Devata
(verehrte Gottheit) verringert werden? Können sie uns nicht die
Kraft geben, dass wir unser Selbst sehen wie es ist, und uns zur
Selbstverwirklichung führen, indem sie uns in sich selbst
verwandeln?«
M.:
»Der Ishta
Devata
und der Guru sind Hilfen – machtvolle Hilfen auf diesem Weg. Sollen
sie aber wirken, ist auch deine Anstrengung nötig. Deine Anstrengung
ist eine absolute Notwendigkeit. Du musst die Sonne sehen. Kann denn
eine Brille oder die Sonne für dich sehen? Du selbst musst deine
wahre Natur erkennen. Dazu braucht es keine große Hilfe!«
D.:
»Wie verhalten sich mein freier Wille und die überwältigende Macht
des Allmächtigen zueinander? a) Ist Gottes Allwissenheit mit dem
freien Willen des Individuums vereinbar? b) Ist Gottes Allmacht mit
dem freien Willen des Individuums vereinbar? c) Sind die Naturgesetze
mit Gottes freiem Willen vereinbar?«
B.:
»Ja. Der freie Wille des Individuums ist die Gegenwart, wie sie der
begrenzten Fähigkeit seiner Einsicht und seines Wollens erscheint.
Dasselbe Individuum erkennt, dass seine vergangenen Handlungen in den
Ablauf von Gesetzen oder Regeln fallen, wobei sein eigener freier
Wille eines der Glieder dieser Gesetzmäßigkeiten war. Es erkennt,
dass die Allmacht und Allwissenheit Gottes durch seinen eigenen
freien Willen gehandelt hat und folgert daraus, dass sich das Ego
nach den Erscheinungsformen richten muss. Die Naturgesetze sind
Manifestationen von Gottes Willen und sind als solche festgelegt.«
F:
»Hat das Studium der Wissenschaften wie der Psychologie,
Physiologie, Philosophie usw. einen Nutzen für die Kunst der
Yoga-Befreiung und das intuitive Verstehen der Einheit des
Wirklichen?«
B:
»Nur begrenzt. Fürs Yoga ist etwas theoretisches Wissen nötig, das
man sich aus Büchern holen kann. Aber was wirklich notwendig ist,
ist die praktische Anwendung. Das persönliche Beispiel, der
persönliche Kontakt und die persönliche Anleitung sind die besten
Hilfen. Was das intuitive Verstehen betrifft kann ein Mensch sich
zwar mühsam von der Wahrheit, die man durch Intuition erfassen muss,
von ihrer Funktion und Natur intellektuell überzeugen, aber die
wirkliche Intuition gleicht eher einem Empfinden und benötigt Praxis
und persönlichen Kontakt. Nur aus Büchern zu lernen nützt wenig.
Nach der Verwirklichung ist alle intellektuelle Fracht ein nutzloser
Ballast, den man über Bord wirft. Es ist unumgänglich und
natürlich, das Ego über Bord zu werfen.«
F.:
»Wie unterscheidet sich der Traum vom Wachzustand?«
M.:
»Im Traum nimmt man verschiedene Körper an, die in diesen Körper
zurückkehren, wenn man von Sinneswahrnehmungen träumt. «
F.:
»Was ist Glück? Ist es im atman oder im Objekt zu finden
oder im Kontakt zwischen Subjekt und Objekt? Wir finden in unseren
Angelegenheiten kein Glück. Wann entsteht Glück?«
M.:
»Wenn wir in Berührung mit etwas Angenehmem kommen oder es uns in
Erinnerung rufen und wenn wir von Unangenehmem oder von Erinnerungen
daran frei sind, dann nennen wir das Glück. Solches Glück ist
relativ und sollte besser ›Vergnügen‹ genannt werden. Der Mensch
wünscht sich aber völliges und dauerhaftes Glück. Das ist nicht in
den Objekten zu finden, sondern im Absoluten. Es ist Friede, der frei
von Schmerz und Vergnügen ist. Es ist ein neutraler Zustand.«
F.:
»In welchem Sinn ist Glück unsere wahre Natur?«
M.:
»Vollkommenes Glück ist Brahman. Vollkommener Friede ist der
Friede des Selbst. Das Selbst allein existiert und ist bewusst. Man
kommt sowohl durch metaphysische Überlegungen als auch durch bhakti
marga (den Weg der Hingabe) zum gleichen Ergebnis.
Wir
bitten Gott um Seligkeit und erlangen sie durch Seine Gnade.
Derjenige, der Seligkeit geben kann, muss selbst Seligkeit und
Unendlichkeit sein. Deshalb ist Iswara der persönliche Gott,
unendliche Macht und Seligkeit. Brahman ist unpersönliche und
absolute Seligkeit. Die endlichen Einzelwesen, die ihre Quelle von
Brahman und danach von Iswara ableiten, sind in ihrer
spirituellen Natur nur Seligkeit. Biologisch gesehen funktioniert ein
Organismus, weil seine Funktionen Freude machen. Es ist Freude, die
uns wachsen lässt. Nahrung, Körperbetätigung, Ruhe und
Geselligkeit bereiten Freude. Vielleicht besteht die Philosophie oder
Metaphysik der Freude darin, dass wir von Natur aus ursprünglich
eins sind, vollkommen und glücklich. Nehmen wir das einmal als
wahrscheinlich an. Dann entsteht die Schöpfung durch das
Auseinanderbrechen der ganzen Gottheit in Gott und Natur (maya
oder prakriti). Diese maya ist von zweifacher Art:
(para) – die erhaltende Substanz und (apara) – die
fünf Elemente, Geist, Intellekt und das Ego (achtfach).
Die
Vollkommenheit des Egos zerbricht plötzlich an einem Punkt und man
spürt ein Verlangen, das zu einem Wunsch wird, etwas zu bekommen
oder zu tun. Wenn man das Gewünschte erhalten hat und damit das
Verlangen gestillt ist, ist das Ego glücklich und die ursprüngliche
Vollkommenheit ist wiederhergestellt. Deshalb kann man sagen, dass
das Glück unser natürlicher Zustand oder unsere Natur ist. Freude
und Leid sind relativ und beziehen sich auf unseren begrenzten
Zustand, der durch die Befriedigung von Wünschen aufrecht
erhalten wird. Wenn man diesen Vorgängen Einhalt gebietet und die
Seele in Brahman eingeht, dessen Natur vollkommener Friede
ist, hört die Seele auf, vergängliche Freude zu empfinden und
genießt den vollkommenen Frieden, die höchste Seligkeit. Deshalb
ist die Selbstverwirklichung Seligkeit. Sie bedeutet, das Selbst als
grenzenloses Auge (jnana dristi) zu verwirklichen und nicht
etwa Hellsehen. Sie ist die höchste Selbsthingabe. Samsara
(der Zyklus der Welt) dagegen ist Leid.«
F.:
»Warum ist dann samsara – die endliche Schöpfung und
Manifestation – so leidvoll und böse?«
M.:
»Das ist Gottes Wille.«
F.:
»Warum will es Gott so?«
M.:
»Das ist unbegreiflich. Man kann dieser Kraft keinen persönlichen
Beweggrund unterstellen – dem einen unendlichen, allwissenden und
allmächtigen Sein kann kein Wollen und kein Ziel zugeschrieben
werden. Gott bleibt von den Handlungen, die in Seiner Gegenwart
geschehen, unberührt. Nimm den Vergleich von der Sonne und dem, was
in der Welt geschieht. Es hat keinen Sinn, dem Einen, bevor es zu dem
Vielen wurde, Verantwortung und einen Beweggrund zuzuschreiben. Aber
den Lauf der Dinge als Gottes Wille zu bezeichnen, ist eine gute
Lösung für das Problem des freien Willens (vexata quaestio). Ist
der Geist rastlos infolge eines Gefühls der Unvollkommenheit und der
Unzufriedenheit mit dem, was uns zustößt oder was wir getan oder
unterlassen haben, dann ist es klug, das Gefühl der Verantwortung
und des freien Willens fallen zu lassen, indem wir uns als ein vom
Allwissenden und Allmächtigen bestimmtes Werkzeug betrachten, und zu
tun und zu leiden, wie es Ihm gefällt. Er trägt alle Last und gibt
uns Frieden.«
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